Damit ihr mich nicht vergesst - Die wahre Geschichte eines letzten Wunsches
ihm halten sollte: Er hatte Charisma, doch konnte man ihm wirklich vertrauen? Aber ich musste zugeben, dass seine Mutter wohl recht behalten hatte: Er war zum Prediger geboren, wenn er auch lange gebraucht hatte, um diesen Weg für sich zu finden.
* * *
Ich beginne mich umfassender über andere Glaubensrichtungen zu informieren. Ich möchte erfahren, ob es nicht mehr Gemeinsamkeiten mit meiner eigenen Religion gibt, als ich bisher weiß, und ich lese Bücher über Mormonen, Katholiken, Sufis und Quäker.
Dabei stoße ich auf eine Dokumentation über das hinduistische Fest Kumbh Mela, eine Pilgerreise von der Mündung des Ganges zu seiner Quelle im Himalaya. Der Legende zufolge fielen beim Kampf der Götter gegen die Dämonen im Himmel vier Tropfen vom Unsterblichkeitsnektar auf die Erde, und diese Tropfen landeten an vier Orten. Die Pilgerreise führt zu diesen Orten, wo man im Fluss badet, um seine Sünden abzuwaschen und Heil und Gesundheit zu finden.
Zig Millionen Menschen nehmen daran teil. Es ist ein unglaublicher Anblick. Ich sehe tanzende, bärtige Männer. Heilige Männer mit durchbohrten Lippen und gepuderter Haut. Alte Frauen, die wochenlang unterwegs gewesen sind, um Gottes Größe in den schneebedeckten Bergen zu erleben.
Die Kumbh Mela ist die größte religiöse Feierlichkeit der Welt und der »größte Glaubensbeweis« genannt worden. Und doch wissen in meinem Land die wenigsten Menschen davon. In der Dokumentation heißt es über die Kumbh Mela, dass man dabei »mit einer kleinen Handlung Teil eines großen Ganzen« wird.
Ich frage mich, ob man diese Aussage auch auf Besuche bei einem alten Mann in New Jersey anwenden kann.
Eine gute Ehe
I ch habe noch nicht viel über die Ehefrau des Rebbe gesagt. Das will ich nun ändern.
Jüdischen Überlieferungen zufolge ruft vierzig Tage vor der Geburt eines männlichen Nachkommen eine Stimme vom Himmel herab, wen der Sohn später heiraten wird. Wenn das wahr ist, ertönte für Albert Lewis im Jahre 1917 der Name »Sarah«. Ihrer beider Verbindung war dauerhaft und von Liebe geprägt und hielt allen Widrigkeiten stand.
Sie lernten sich in Brighton Beach bei einem Vorstellungsgespräch kennen – er war Rektor einer Schule, und sie bewarb sich um eine Stelle als Englischlehrerin. In einigen Punkten waren sie sehr gegensätzlicher Meinung, und als Sarah sich verabschiedete, dachte sie: »Diesen Job kann ich wohl vergessen.« Doch Albert bewunderte sie und stellte sie ein. Und Monate später ließ er sie in sein Büro kommen.
»Sind Sie mit jemandem liiert?«, fragte er.
»Nein«, antwortete Sarah.
»Gut. Bitte belassen Sie es auch dabei. Weil ich Sie nämlich bitten möchte, meine Frau zu werden.«
Sarah gelang es, ihre Erheiterung zu verbergen.
»Sonst noch was?«, fragte sie.
»Nein, das war’s«, antwortete er.
»Gut.« Und damit ging sie wieder.
Danach brauchte Albert Monate, um den nächsten Schritt zu tun, aber schließlich glückte es ihm, und sie trafen sich häufiger. Er führte Sarah in ein Restaurant aus. Sie fuhren nach Coney Island. Als er sie zum ersten Mal zu küssen versuchte, bekam er Schluckauf.
Zwei Jahre später waren sie verheiratet.
Albert und Sarah Lewis verbrachten über sechs Jahrzehnte zusammen, bekamen vier Kinder, bestatteten eines, tanzten auf den Hochzeiten ihrer Kinder, bestatteten ihre Eltern, freuten sich über sieben Enkel und wohnten in insgesamt drei Häusern. Sie liebten und achteten einander. Gewiss hatten sie manchmal Streit und hüllten sich dann auch in Schweigen, doch abends sahen die Kinder ihre Eltern händchenhaltend auf dem Bettrand sitzen.
Sie waren ein gutes Team. Von der Estrade herab neckte der Rebbe seine Frau, indem er sagte: »Entschuldigung, junge Dame, ob Sie uns wohl Ihren werten Namen sagen könnten?« Sie erzählte dafür im Gegenzug anderen Leuten: »Ich habe dreißig wunderbare Jahre mit meinem Mann verbracht, und ich werde niemals unseren Hochzeitstag vergessen, den dritten November 1944.«
»Aber Augenblick mal«, wandte dann jemand ein, der nachgerechnet hatte, »das ist doch viel länger her.«
»Gewiss«, erwiderte Sarah. »Am Montag bekomme ich zwanzig wunderbare Minuten, am Dienstag eine prächtige Stunde. Wenn man das dann zusammenrechnet, kommt man auf dreißig wunderbare Jahre.«
Alle lachten, und ihr Mann strahlte. Der Rebbe hatte einmal eine Liste mit Ratschlägen für junge Geistliche verfasst. Einer der Punkte auf der Liste lautete: »Finden Sie eine gute
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