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Damit ihr mich nicht vergesst - Die wahre Geschichte eines letzten Wunsches

Damit ihr mich nicht vergesst - Die wahre Geschichte eines letzten Wunsches

Titel: Damit ihr mich nicht vergesst - Die wahre Geschichte eines letzten Wunsches Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mitch Albom
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Partnerin.«
    Der Rebbe hatte seine jedenfalls gefunden.
    Und wie man aus der Ernte lernt, was man beim Anbau falsch gemacht hat, so lernte der Rebbe in den vielen Jahren mit Sarah, wie eine Ehe funktioniert – und was man in einer Partnerschaft besser vermeiden sollte. Er hatte selbst an die tausend Paare verheiratet und sowohl schlichte als auch peinlich protzige Hochzeitsfeiern erlebt. Viele Paare blieben zusammen, doch nicht wenige trennten sich auch wieder.
    Können Sie vorhersehen, welche Ehen Bestand haben werden?, fragte ich den Rebbe.
    »Manchmal«, antwortete er. »Wenn sie sich gut verständigen können, haben sie gute Chancen. Und wenn sie ein ähnliches Glaubenssystem und ähnliche Werte haben.«
    Und die Liebe?
    »Liebe sollte man immer empfinden. Aber sie verändert sich.«
    Wie meinen Sie das?
    »Liebe – also eigentlich Verliebtheit –, dieses Gefühl ›Er ist so wunderbar‹ oder ›Sie ist so zauberhaft‹, das kann nachlassen. Sobald etwas schiefgeht, verflüchtigt sich diese Art von Liebe als Erstes.
    Die wahre Liebe aber wächst stetig. Sie wird stärker durch Prüfungen. Wie in ›Anatevka‹. Erinnern Sie sich? Als Tevje singt: ›Ist es Liebe?‹«
    Ich hatte beinahe geahnt, dass das kommen würde. Anatevka spiegelte in etwa die Weltsicht des Rebbe. Religion. Tradition. Gemeinschaft. Und Eheleute – Tevje und Golde –, deren Liebe nicht durch Worte, sondern durch Taten zum Ausdruck kommt.
    »Als Golde antwortet: ›Fragen stellst du! Seit 25 Jahren leb ich mit ihm, das muss ja Liebe sein.‹
    Diese Art von Liebe, bei der man merkt, dass man sie schon lange gefunden hat, weil man ein gemeinsames Leben geschaffen hat – das ist die Art von Liebe, die Bestand hat.«
    Der Rebbe hatte großes Glück, mit Sarah eine solche Liebe leben zu können. Ihre Liebe hatte harte Zeiten durch gutes Zusammenspiel und Selbstlosigkeit überstanden.
    Manchmal erzählte der Rebbe den Witz von einem Mann, der sich bei seinem Arzt darüber beklagt, dass seine Frau immer historisch werde, wenn sie wütend sei.
    »Sie meinen ›hysterisch‹«, sagte der Arzt.
    »Nein, historisch«, erwiderte der Mann. »Sie schildert dann die gesamte Historie all meiner Vergehen!«
    Dem Rebbe war jedoch sehr wohl bewusst, dass die Ehe eine gefährdete Tradition war. Er hatte Paare getraut, ihre Trennung erlebt und sie danach mit anderen Partnern verheiratet.
    »Ich denke, dass die Menschen heutzutage zu viel von der Ehe erwarten«, sagte er. »Sie erwarten Vollkommenheit. Jeder Augenblick soll pures Glück sein, aber das gibt es nur in Filmen und im Fernsehen. So sieht das Leben nicht aus.
    Wie Sarah ganz richtig sagt: Zwanzig frohe Minuten hier, vierzig wunderbare Minuten dort – daraus erwächst insgesamt etwas Schönes. Der Knackpunkt besteht darin, nicht sofort alles hinzuschmeißen, wenn es mal schwierig wird. Dann und wann Streit zu haben gehört dazu. Es ist auch normal, dass der andere einem manchmal auf die Nerven geht. Das ist unvermeidlich, wenn man einem anderen Menschen nah ist.
    Doch die Freude, die aus dieser Nähe entsteht – wenn man seine Kinder ansieht, wenn man morgens erwacht und sich anlächelt –: Das, so lehrt es unsere Tradition, ist ein Segen. Heutzutage neigen die Menschen dazu, das zu vergessen.«
    Und warum?
    »Weil das Wort ›Verpflichtung‹ nicht mehr dieselbe Bedeutung hat. Ich bin alt genug, um mich noch an die Zeit zu erinnern, als dieses Wort etwas Positives bedeutete. Wer eine Verpflichtung eingegangen war, war bewundernswert, denn er galt als treu und zuverlässig. Heutzutage versucht man Verpflichtungen zu vermeiden, weil man sich nicht festlegen will.
    Und so verhält es sich übrigens auch mit dem Glauben. Wir wollen uns nicht festlegen, ständig zum Gottesdienst gehen oder alle Regeln einhalten zu müssen. Wir wollen Gott nicht verpflichtet sein. Wir befassen uns mit Ihm, wenn wir Ihn brauchen oder wenn alles gut läuft. Aber eine echte Verpflichtung? Dazu braucht man die Bereitschaft auszuharren – sowohl im Glauben als auch in der Ehe.«
    Und wenn man sich nicht innerlich verpflichtet?, fragte ich.
    »Das bleibt jedem selbst überlassen. Aber dann entgeht einem das, was auf der anderen Seite zu finden ist.«
    Und was ist das?
    »Ah.« Der Rebbe lächelte. »Eine Form von Glück, die man allein nicht erlangen kann.«
    Kurz darauf kam Sarah herein, noch im Mantel. Wie ihr Mann war auch sie über achtzig. Sie trug eine Brille, hatte dichtes weißes Haar und ein bezauberndes

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