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Damit ihr mich nicht vergesst - Die wahre Geschichte eines letzten Wunsches

Damit ihr mich nicht vergesst - Die wahre Geschichte eines letzten Wunsches

Titel: Damit ihr mich nicht vergesst - Die wahre Geschichte eines letzten Wunsches Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mitch Albom
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Sprüche Salomos interessierten ihn offenbar nicht.
    Eine Stunde später, nachdem die Polizei verschwunden war, stürzten sich Henry und Annette auf das alte Notizbuch, verbrannten es und verbrachten den Rest des Tages damit, Gott zu danken.
    Was würden Sie machen, wenn Ihnen Ihr Geistlicher solche Geschichten erzählt? Einerseits bewunderte ich Henry für seine Aufrichtigkeit, andererseits fand ich, jemand mit einer solchen Vergangenheit sollte nicht auf einer Kanzel stehen. Ich hatte inzwischen mehrmals an seinen Gottesdiensten teilgenommen und gehört, wie er in seinen Predigten aus der Apostelgeschichte, den Seligpreisungen, Salomo und dem Buch Esther zitierte und Jesu Worte verkündete: »Wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s finden.« Seine Gesänge waren kraftvoll und beseelt. Und er schien sich immer in seiner Kirche aufzuhalten – entweder in seinem Büro im zweiten Stock, einem langen schmalen Raum mit einem Konferenztisch, den die Vormieter zurückgelassen hatten, oder in dem kleinen düsteren Kellerraum. Eines Nachmittags betrat ich unangekündigt die Kirche und fand Henry dort mit geschlossenen Augen im Gebet vor.
    Bevor es kalt wurde, grillte Henry manchmal neben der Kirche Huhn oder Garnelen oder was immer jemand gespendet hatte. Das Essen wurde verteilt an jeden, der hungrig war. Manchmal hielt er seine Predigten sogar auf einer niedrigen bröckelnden Betonmauer gegenüber der Kirche.
    »Von dieser Mauer habe ich Gottes Wort mit all der Kraft gesprochen, die ich in mir fühle«, sagte er einmal zu mir.
    Warum denn das?
    »Weil manche Leute sich nicht in die Kirche trauen. Vielleicht haben sie ein schlechtes Gewissen wegen ihres Lebens. Deshalb geh ich zu ihnen und bring ihnen ein Sandwich.«
    Sie meinen so eine Art Hausbesuch?
    »Genau. Aber die meisten haben kein Haus.«
    Sind einige von denen auf Droge?
    »Oh ja. Aber nicht nur die. Sondern auch einige, die sonntags in die Kirche kommen.«
    Im Ernst? Beim Gottesdienst?
    »Uuh, und wie. Wenn ich mir die anschaue und ihr Kopf wippt rauf und runter, sag ich mir: Mhm, die haben sich was Heftiges eingepfiffen.«
    Stört Sie das nicht?
    »Kein bisschen. Wissen Sie, was ich denen sage? Ist mir doch egal, ob sie betrunken sind oder grade beim Dealer waren. Wenn ich krank bin, geh ich in die Notaufnahme. Wenn ich die Krankheit nicht loswerde, geh ich wieder hin. Was euch auch plagt: Diese Kirche soll eure Notaufnahme sein. Kommt solange her, bis ihr geheilt seid.«
    Ich betrachtete Henrys breites weiches Gesicht.
    Kann ich Sie was fragen?
    »Klar.«
    Was haben Sie damals aus der Synagoge gestohlen?
    Er atmete aus und lachte. »Ob Sie’s nun glauben oder nicht – Briefumschläge.«
    Briefumschläge?
    »Genau. Ich war ja noch ein Jugendlicher. Ein paar ältere Typen waren vor mir eingebrochen und hatten alle wertvollen Sachen mitgehen lassen. Ich hab nur noch eine Schachtel mit Umschlägen gefunden. Also hab ich mir die geschnappt und bin rausgerannt.«
    Wissen Sie noch, was Sie mit den Umschlägen gemacht haben?
    »Nee«, antwortete er. »Beim besten Willen nicht.«
    Ich schaute den Mann an, blickte mich in seiner Kirche um und fragte mich, ob es überhaupt möglich ist, das Leben eines anderen Menschen wirklich zu verstehen.
    Ich habe mir einen Karton mit Predigten des Rebbe mit nach Hause genommen und schaue sie durch. Eine aus den fünfziger Jahren trägt die Überschrift »Der Sinn der Synagoge«, eine andere aus den Sechzigern ist überschrieben mit »Der Generationenkonflikt«.
    Dann stoße ich auf eine Predigt aus den Siebzigern. Überschrift ist der Songtitel »Raindrops Keep Falling on My Head«. Ich lese den Text und bin fasziniert.
    In dieser Predigt ruft der Rebbe die Gemeinde dazu auf, das Dach der Synagoge zu reparieren.
    »Unser Dach vergießt nach jedem Regenfall heftig Tränen«, hatte der Rebbe hier notiert. Er berichtet, wie er in der Synagoge saß und eine »tropfnasse Deckenplatte« ihn nur um Haaresbreite verfehlte. Und er schildert eine Hochzeitsfeier, bei der durch zweitägige Regenfälle »unerquickliche Spezialsoße« auf dem Brathuhn zu finden war. Während eines Morgengottesdienstes musste er eine Deckenplatte, die herabzustürzen drohte, mit dem Besenstiel bearbeiten, damit das Wasser abfließen konnte.
    In der Predigt bittet er die Gemeinde inständig, mehr Geld zu spenden, um das Gotteshaus vor dem Einsturz zu bewahren.
    Ich muss natürlich an Pastor Henry und das Loch im Kirchendach denken. Zum ersten

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