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Damit Kindern kein Flügel bricht - Kindliche Verhaltensauffälligkeiten verstehen und ein gutes Familienklima fördern

Titel: Damit Kindern kein Flügel bricht - Kindliche Verhaltensauffälligkeiten verstehen und ein gutes Familienklima fördern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kösel
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entdecken, sie gemeinschaftsfähig zu machen und - ihnen Lebensfreude zu vermitteln. Es ist ihr gelungen, nicht nur bei meinen Kindern, sondern bei allen, die ihren wunderbaren Kindergarten besuchen durften. Obwohl diese Kinder kein Rechnen und Schreiben - man betont dann immer den »spielerischen Charakter« dieses Trainings - geübt haben, hatten sie keine Probleme, in der Grundschule neben den durch Vorschule trainierten Kindern zu bestehen. Und: Diese Kinder hatten noch die Unbefangenheit und Unschuld zur Seite, als sie eingeschult wurden. Sie wussten noch nicht, dass es »in Mathe schwierig werden könnte«. »Sie sollten Ihren Sohn mal auf Dyskalkulie testen lassen.« »Ihre Tochter sieht mir ganz danach aus, dass sie Legasthenikerin ist.« So berichten mir Eltern aus Gesprächen mit Vorschulleiterinnen.
    Warum darf der Kindergarten heute so oft nicht mehr Kindergarten heißen? Ein Garten löst angenehme Assoziationen aus. In einem Garten wird gespielt, herumgetobt, man darf sich dort auch einmal verprügeln, Schrammen holen. In einem Garten wird gepflanzt, werden Samen gelegt, wächst ein Gefühl für die eigene Vitalität heran.
    Kinder, wie oft wird das unterschätzt, betreten mit ihrem Eintritt in den Kindergarten eine größere Welt. Sie verlassen den geschützten Rahmen der kleinen Familie, in welchem
die Werte schnell erfasst werden und Vertrautheit bewirken. Plötzlich kommen im Kindergarten fremde Kinder hinzu, die andere Rituale und verinnerlichte Familiengesetze mitbringen. Kinder, die auch im Mittelpunkt stehen wollen, Kinder, die nicht wie die Mama Rücksicht nehmen bei der Eroberung der Welt. Dort sind Kinder, die nicht wie der Papa dem Sohn die Hand reichen beim Ausprobieren einer neuen Fertigkeit, sondern vielleicht - lachen. Dort gibt es Kinder, die leichter Kontakt aufnehmen zu anderen, Kinder, die sich besser behaupten können, Kinder, die wieder schneller waren beim Verteilen der Rollen für das Weihnachtsspiel. Vielleicht spielen dort gerade zwei Mädchen, die besonders gut zusammenpassen und vom dritten mit sehnsüchtigen Augen beobachtet werden. Das dritte Mädchen fühlt sich ausgeschlossen, einsam … die Mama wird plötzlich schmerzlich vermisst.
    Das sind die Übungen, die auf einen guten Schuleintritt vorbereiten, nicht die »spielerisch gehandhabten Rechenblätter«. Die sind einfach nicht wichtig, wenn es darum geht, einen guten, sicheren Platz in der größeren Welt des Kindergartens zu finden - bevor es in die große Welt der Schule hinausgeht. Der erste Freund im Kindergarten ist ein Meilenstein im Selbstwertgefühl des Kindes. Sobald es diesen ersten »besten« Freund gibt, ist das Kind in dieser größeren Welt angekommen. Dann hört das Gezerre und lustlose Herumtrödeln zu Hause auf. Das Kind will dann, aus eigenem Antrieb, in den Kindergarten. »Der Marco wartet schon auf mich. Der war ganz traurig, als ich vorgestern krank war, hat er gesagt« - so ein kleiner Patient, der ein halbes Jahr sich mit Händen und Füßen gegen den Kindergartenbesuch gewehrt hat, weil er keinen Freund gefunden und sehr schnell - klug, wie er war - gemerkt hatte, dass dort nicht nach seiner Pfeife getanzt wird - im Gegensatz zu den Eltern zu Hause, die mit ihm in die Therapie kamen, weil »wir einen kleinen Tyrannen zu Hause großziehen«.

    Warum gönnen wir Großen, wir Erwachsenen, den Kindern, die wir doch lieben, nicht den lustvollen Aufenthalt im »Garten«? Warum verbannen wir sie mit fünf, sechs Jahren schon in die »Vorschule«?
    Ich hatte ein kleines Mädchen in Therapie, bezaubernd wie eine Elfe, das die Treppe von der Toilette zum Therapiezimmer nicht mehr hochgehen konnte, ohne die Stufen zu zählen. Dieses Zählen geschah nicht spielerisch, sondern - das Mädchen war fünf Jahre alt - wie aus einem Zwang heraus. Der Kontakt, der noch bestanden hatte, wenn sie in der Toilette war und ich vor der Tür auf sie warten musste, brach sofort ab, sobald wir die Treppe hochgingen. »Ich muss jetzt zählen, stör mich nicht.« Manchmal musste sie nochmals hinunter, weil sie auf eine andere Zahl gekommen war als beim letzten Mal. Einmal, ich habe die Stunde noch in Erinnerung, wie wenn sie gestern gewesen wäre, ist sie die Treppe hinaufgestolpert, als ob sie mir beweisen wollte, wie schnell sie jetzt schon zählen kann. Sie ist hingefallen, hat sich nur ein wenig wehgetan, doch die Tränen flossen, als ob jemand Schleusen geöffnet hätte. »Du lernst noch früh genug zählen, du bist ein

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