Damit Kindern kein Flügel bricht - Kindliche Verhaltensauffälligkeiten verstehen und ein gutes Familienklima fördern
Kindertherapie. Vor allem Jungen greifen in der Spieltherapie schnell zum Kraken, wenn sie bedrohliche Tiere suchen, die es zu besiegen gilt. Ein kleiner Junge sagt immer: »Film ab...«, und dann versucht der große Godzilla (das mächtigste Tier in meiner Praxis), mit dem er sich identifiziert, den Kraken zu zertreten, »plattzukriegen … endlich mal kaputt zu machen.« Schwerstarbeit. Wofür steht der Krake? Wir treiben hier keine Vulgärpsychologie, deswegen übersetze ich die Zerstörungsversuche nicht mit - der Mutter. Kinder sind nicht so plump gestrickt. Er steht für alles, was die Entwicklung eines Kindes behindert, sie aufzuhalten und in starre Formen zu pressen versucht. Er symbolisiert eine Form von Festhalten, die etwas Erstickendes hat.
Auge in Auge mit der eigenen Unvollkommenheit …
Wenn Eltern ihr eigenes Erinnerungsbuch offen vor sich liegen haben und bereit sind, nochmals in diesem Buch zu lesen, den erlittenen Schmerzen auf die Spur zukommen, statt diese Spuren nur bei ihren Kindern zu bekämpfen, wird vieles gut.
Eine Mutter, der es sehr schlecht ging, sagte in einem Elterngespräch: »Ich habe nur einen Wunsch an Sie und die
Therapie: dass es meinem Kind wieder gut gehen möge, das ist das Wichtigste.« Das ist ein edler Wunsch, doch es ist der falsche Wunsch. Wie soll eine Therapie es bewerkstelligen, dass es einem Kind wieder gut gehen möge, wenn es der Mutter so schlecht geht? Oder wie oft bin ich Zeugin einer fatalen Verknüpfung: »Wissen Sie, wenn es meinen Kindern gut geht, geht es auch mir gut.« In der Umkehrung heißt das doch nichts anderes als: »Wenn es meinen Kindern schlecht geht, geht es auch mir schlecht.« Da steckt ein Wurm drin: das symbiotische Denken, Handeln und Fühlen. Was habe ich davon, wenn es mir schlecht geht - und allen, die mir wichtig sind, ebenso? Nichts, außer allgemeine Hilflosigkeit. Da kann keiner dem anderen helfen. Da herrscht nur umfassende Ansteckungsgefahr. Wie wohltuend ist es hingegen, wenn ich gerade nicht in guter Verfassung bin und die besten Freunde bei Kräften bleiben. Dann sind Hilfe und Unterstützung möglich.
Gemeinsames Elend entlastet einen kurzen Augenblick lang - »Du verstehst mich, dir geht es genauso dreckig wie mir« -, doch auf Dauer hin betrachtet, fährt der Lift mit den zwei, drei, vier Unglücklichen nur noch ein paar Stockwerke tiefer ins Ungemach hinein. Im Untergeschoß nehmen die Verstrickungen noch zu, neue Ausblicke und den Überblick gibt’s nur weiter oben.
Schule heute und ihr Einfluss auf unsere Kinder und Jugendlichen
Im deutschen Schulsystem sitzt der Wurm. Doch bevor wir diese Wurmstichigkeit genauer unter die Lupe nehmen, ist eine Anmerkung vonnöten.
»Sprächen die Menschen nur von Dingen, von denen sie etwas verstehen, die Stille wäre unerträglich.« (Lee Woo-Jin)
Ich traue mich zu sprechen, weil ich das Unterrichten aus eigener Erfahrung kenne, auch wenn diese Erfahrung vor über 20 Jahren stattgefunden hat. Jetzt darf ich über meine Kinder und meine Patienten in viele Schulzimmer schauen.
Ich möchte und muss den Begriff der Wurmstichigkeit vor allem auf das bayerische Schulsystem anwenden, weil ich dieses am besten kenne. Die Süddeutsche Zeitung informiert ihre Leser seit dem Jahr 2007 fast täglich über den Patienten Schule. Sie ist momentan so etwas wie eine Speerspitze im Kampf um ein überaus reformbedürftiges Schulsystem. Eltern, Schüler, Lehrer, Vertreter der Schulbehörden finden darin eine Plattform für Kritik. Und es kommt fast nur noch zu kritischen Stellungnahmen. Zu Recht, wie wir sehen werden.
Schule und Kreativität
»Fantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt.«
Albert Einstein
Vor vier Jahren kamen eine 18-jährige junge Frau und ein 19-jähriger junger Mann fast zeitgleich in Therapie. Sie hatten gerade ihr Abitur abgelegt - sie mit einem Notendurchschnitt von 1,4, er hatte einen Schnitt von 1,8. Der Grund für eine Therapieaufnahme war bei beiden: Depression.
Was diese zwei jungen Menschen, die zuvor nie unter Depressionen gelitten hatten, auszeichnet, ist eine überdurchschnittliche Leistungsbereitschaft, eine enorme Anpassungshaltung an die Erwartungen der Eltern und Lehrer und - mangelnde Leidenschaften. Beide wussten nicht, was sie studieren wollten. Von ihrem ausgezeichneten Abschluss her wären ihnen viele Studiengänge offen gewesen. Sie waren ja überall gut gewesen, lagen weit über dem Durchschnitt im Vergleich zu ihren
Weitere Kostenlose Bücher