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Damit Kindern kein Flügel bricht - Kindliche Verhaltensauffälligkeiten verstehen und ein gutes Familienklima fördern

Titel: Damit Kindern kein Flügel bricht - Kindliche Verhaltensauffälligkeiten verstehen und ein gutes Familienklima fördern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kösel
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Handlungsweisen - und was nicht gerne gesehen wird. Es ist keine Polemik, wenn ich behaupte, dass das eigenständige Denken der Schüler, ihre Widerworte, Anmerkungen und Ergänzungen
zum Lehrerbeitrag oft nicht sonderlich erwünscht sind. Es kommt in diesem imaginären Handbuch nicht vor.
    Noch vor zehn Jahren erlebte ich Patienten, die froh waren, wenn die langen Sommerferien endlich vorüber waren. Denen geht es wie mir als Kind und Jugendliche - so habe ich damals schmunzelnd gedacht. Jetzt schmunzle ich nicht mehr, weil es diese Schüler kaum mehr gibt. Ich würde gerne einmal Lehrer in meine Praxis bitten - in der ersten Woche nach den Sommerferien. Diese Lehrer müssten den Eindruck bekommen, ich behandle lauter depressive Kinder:
    Peter (11 Jahre): »Die Schule hat wieder angefangen, deswegen bin ich schlecht gelaunt.«
    Tobias (13): »Scheiße, jetzt fängt der Stress wieder von Neuem an.«
    Lisa (7): »Meine Mama hat gesagt, jetzt hängst du dich gleich von Anfang an rein.«
    Charlotte (17): »Oh Gott, jetzt geht’s wieder ums Ganze.«
    Patrick (16): »Der Papa hat mit mir gestern Abend (Sonntag vor Schulbeginn) lange gequatscht, so in der Art: Jetzt wird durchgestartet, kapiert? Die Ferien sind vorbei, auch für dich, mein Sohn … Wie ich diese Gespräche hasse!«
    Anna (14): »Die Frau L. (Klassenlehrerin) hat gleich in der ersten Stunde gesagt: ›Jetzt bekommt ihr eine neue Chance. Gebt euer Bestes. Ihr habt mir vor den Sommerferien nur noch Kopfschmerzen gemacht, ich war am Rande meiner Kräfte.‹«
    Maxi (18): »Ich konnte die ganze Nacht vor Schulbeginn nicht schlafen … hab Angst, dass das wieder so ein Megastress wird wie letztes Jahr. Die Mama ist schon wieder ganz gereizt, in den Ferien war sie richtig locker.«
    Sandra (6): »Mama und Papa haben meiner Oma gesagt, dass ich mich so freue auf die Schule (Schulanfängerin), und die Oma hat dann gesagt: ›Du wirst sicher eine gute
Schülerin!‹ Ich will ja auch eine gute Schülerin werden, aber meine Schwester (zehn Jahre alt, NSK) sagt: ›Schule ist scheiße, wart’s nur ab!‹ Stimmt das?«
    Vor allem Sandras Bemerkung tut weh. Sandra stand damals noch vor ihrer Schullaufbahn. Sie wusste nicht, was sie hinter der Schwelle Einschulung erwarten würde. Aber sie wusste bereits um die Erwartungen ihrer Umwelt. Die Eltern wollten ein Kind sehen, das die Einschulung kaum erwarten kann, die Oma erwartet eine gute Schülerin, die große Schwester erwartet, dass Sandra bald ernüchtert sein wird.
    Die Unschuld ist bereits bei Schulanfängern nicht mehr zu finden. Alles Mögliche wird in die Schultüte hineingesteckt: eine Uhr, ein Lesebuch für Leseratten, Sudoku für Kinder - die Süßigkeiten fallen immer spärlicher aus, fantasievolle, lustige Ideen der Eltern ebenso.
    Wie oft fällt bei Schulanfängern nach einigen Monaten, manchmal erst nach dem ersten Schuljahr, die Bemerkung: »Im Kindergarten war’s schöner.« Ein Satz, der Eltern sehr beunruhigt - wenn sie ihn denn überhaupt zu hören bekommen. Eine Mutter hat mir einmal, zwei Monate nach Schulbeginn, begeistert erzählt, wie »happy« ihre Tochter in der 1. Klasse sei. Das kleine Mädchen hat sie in diesem Glauben gelassen, bis das Herumtrödeln beim Aufstehen immer länger ausgefallen ist und das Mädchen, gequält von Bauchschmerzen, Übelkeit und Kopfschmerzen, gehäuft am Schulbesuch gehindert wurde.
    Natürlich gefällt allen Erstklässlern der Umstand, nicht mehr zu den Kleinen zu gehören. Doch sie spüren viel zu schnell, dass der Eintritt in die Schulwelt offenbar einen Preis hat: den Verlust der Unschuld, der Unbefangenheit und - leider - der Unbeschwertheit. Muss das zwangsläufig so sein? Nein, überhaupt nicht. Sagen wir es deutlicher: Es darf nicht so sein. Die Schulzeit dauert zu lange, als dass man sechsjährige Kinder mit einer so geringen Anfangsmotivation starten
lässt. Die Vorschule leistet hier einen zweifelhaften Beitrag. Ich habe mehrere kleine Kinder, Vorschüler, die erstens behaupten, bereits Schüler zu sein, und zweitens schon Angst entwickeln vor der Einschulung. Und die Tatsache, dass Eltern bereits mit ihren Vorschulkindern das Rechenblatt nochmals üben, weil es nicht so gut ausgefallen ist, ist Anlass zu großer Sorge.
    Meine eigenen Kinder hatten das Glück, in ihrem Kindergarten auf eine Frau zu stoßen, die nichts von Vorschule hält. Deren »Programm« bestand aus drei Punkten: die kleinen Kinder in ihren individuellen, kreativen Fähigkeiten zu

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