Damit Kindern kein Flügel bricht - Kindliche Verhaltensauffälligkeiten verstehen und ein gutes Familienklima fördern
Paar ist eine der schönsten Möglichkeiten.
Ein Abgesang auf das traditionelle Familienmodell
Wenn Eltern in die Praxis kommen, geht es in erster Linie um ihre Kinder. Erstgespräche gibt es bei mir in der Regel nur mit der ganzen Familie. Die Zeiten, in denen Kindertherapeuten noch geglaubt haben, es genüge, wenn die scheinbar »Hauptbetroffenen«, nämlich Mutter und Sorgenkind, dasitzen, sind Gott sei Dank vorbei. So eine Konstellation hatte bei den Müttern die Schuldgefühle, die eh schon vorhanden sind, nur noch wachsen lassen. Man kann es nicht oft genug sagen: Wenn der Dialog zwischen den Eltern und ihren Kindern nur noch spärlich fließt, haben nicht die Eltern alles
oder vieles falsch gemacht, sondern es sind für die Betroffenen oft nur schwer sichtbare und wenig greifbare Wechselwirkungen entstanden, die dafür verantwortlich sind. Therapie bedeutet nicht, dass man mit kriminalistischem Gehabe Schuldige identifiziert, sondern den Mut der Familie honoriert, dass ein Außenstehender mit ihnen zusammen mögliche Gefühlsverwirrungen und -irrungen entdecken und lösen helfen darf.
Bei diesen ersten Kontakten erlebe ich Väter oft in einer passiven Rolle. Sie lassen ihre Frauen erzählen, ergänzen meistens nur auf meine Aufforderung hin die Sichtweise des Kindes oder der Ehefrau. Sie reichen das Wort meistens gleich an ihre Frau weiter mit dem Hinweis, dass sie das besser wisse und sie selber eh nicht so den Einblick hätten. Und ganz oft kommt die Bemerkung: »Ich habe selber eigentlich kaum Probleme mit unserem Kind, versteh eh nicht ganz, warum die sich ständig in den Haaren liegen müssen.« Oder so etwas Ähnliches. Die Männer sind in diesem Erstgespräch oft Zuschauer, Zuhörer und allgemein recht schweigsam. Nicht selten entsteht bei mir der Eindruck von einem Gast in der Familie. Oft sind diese Männer müde, ein Arbeitstag liegt hinter ihnen, denn die Erstgespräche finden, damit auch alle teilnehmen können, oft am späten Nachmittag oder abends statt. Die Frauen sind auch müde, doch sie lassen es sich nicht anmerken, sie stemmen ja gerade wieder einmal die Verantwortung in Sachen Familie.
Dennoch: Einer Art von Familienmodell gebe ich, auf die Zukunft hin entworfen, keine gute Prognose mehr: dem Hausfrauenmodell, in welchem die Mutter versucht, sich zu Hause und im Dienst der Familie zu verwirklichen, und der Vater das Geld nach Hause bringt. Für Kleinstkinder ist dieses Modell noch sehr günstig, es unterstützt die seelische Entwicklung dieser Kinder. Allerdings kann es auch der Vater sein, der als Hauptbetreuungsperson in dieser Zeit zu
Hause bleibt. Wenn es jedoch die Mutter ist, dann ist meine Erfahrung die, dass das traditionelle Modell zur Entwertung der Mutter und Überbewertung des Vaters beiträgt, sobald die Kinder in den Kindergarten gehen (mögen es wieder Kindergärten sein und keine Vorschulen mehr!). Die Frau gibt in diesem traditionellen Modell, das vorsieht, dass die Mutter mindestens bis zur Einschulung zu Hause bleibt, ihr Erwachsensein ein Stück auf und gerät in eine ökonomische Abhängigkeit zu ihrem Mann. Das ist ein Kinderstatus! Nur Kinder sind ökonomisch nicht überlebensfähig. Solche Frauen werden dann zwar Expertinnen in Sachen Familie, doch sie verlieren dabei ein Stück weit ihr Erwachsenenpotenzial. Das bedeutet: für seinen Lebensunterhalt aufgrund eigener auf dem Arbeitsmarkt gefragten Fähigkeiten selber aufkommen zu können. Dies ist eine für das Selbstwertgefühl sehr wohltuende Erfahrung.
Der früheren deutschen Familienministerin Ursula von der Leyen sei Dank, dass sie sich für die Erziehungszeit auch für Väter stark gemacht hat. Wenn die Familie so, wie wir sie uns unverändert gerne erträumen, weiterhin Bestand haben soll, geht es auch gar nicht mehr anders. Viele Väter haben zwar finanziell den Überblick, verlieren ihn jedoch schnell, wenn es um die Namen der besten Freunde ihrer Kinder geht, um die Klasse, welche die Kinder gerade besuchen, um den Namen des Klassenlehrers, um den genauen Geburtstag ihrer Familienmitglieder oder um die Unerfülltheit ihrer Ehefrau. Solche Väter brauchen wir nicht mehr. Das Verfallsdatum solcher Familienstrukturen zeichnet sich bereits ab. Ich halte nichts von dramatischen Untergangsgesängen, doch der Praxisalltag legt sie in diesem Punkt nahe. Das Requiem ist hier die passende Musikgattung. Oden bekomme ich keine mehr zu hören. Die Hausfrauen-Ode wurde bis vor wenigen Jahren noch ab und zu von
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