Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Damit Kindern kein Flügel bricht - Kindliche Verhaltensauffälligkeiten verstehen und ein gutes Familienklima fördern

Titel: Damit Kindern kein Flügel bricht - Kindliche Verhaltensauffälligkeiten verstehen und ein gutes Familienklima fördern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kösel
Vom Netzwerk:
auch nicht mehr gut wahrnehmen...
    Auslösende Momente für eine Depression sind oft reale oder vermeintliche Verluste emotional bedeutsamer Menschen, narzisstische Traumatisierungen und schwere Kränkungen. Depression ist zuvor als narzisstische Störung bezeichnet worden. Narzissmus hat immer mit dem Selbstwertgefühl zu tun. Im gesunden Narzissmus begleiten wir uns und unsere Handlungen mit Stolz, Freude und Selbstachtung. Im kranken Narzissmus liegen wir mit unserer
Selbstachtung und der Einschätzung der eigenen Person und unserer Handlungen sozusagen im Dauerstreit. Statt Selbstachtung bedrückt das Kind manchmal, wie Alfred Adler es so treffend genannt hat, »das düstere Geheimnis, nichts wert (zu sein)...« (Adler 2008, S. 113) Das Selbstwertgefühl eines Kindes ist aufgrund seines noch geringen Handlungsradius und seiner realen Wirkmöglichkeiten noch sehr spiegelungsbedürftig. Das Kind ist, um ein gesundes Selbstwertgefühl entwickeln zu können, auf die freudig und zuversichtlich spiegelnden Augen seiner Eltern und Lehrer angewiesen.
    Ich habe auf den vorangegangenen Seiten oft darauf hingewiesen, wie fundamental der Blick der anderen sich auf das Selbstwertgefühl eines Kindes auswirken kann. Wenn Kinder vor allem mit kritischen und herabsetzenden Blicken aufwachsen, können sie keine stabilen Vorstellungen über sich und andere aufbauen. Solche Kinder entwickeln dann stellvertretend für gute Selbst- und Fremderfahrung ein anklammerndes Verhalten oder kompensatorisch starke Leistungsansprüche an sich und die Umwelt. »Das Über-Ich ist (dann) geprägt von Absolutheit, Rigidität und Undifferenziertheit. Aber auch das Ich-Ideal ist überhöht, d.h. die Ansprüche, die der depressive Mensch an sich stellt, überfordern ihn.« (Mentzos 1984, S. 184)
    Kinder möchten wirken, sie wollen wahrgenommen werden. Der Klassenclown, der die ganze Klasse bestens unterhält, wird zwar wahrgenommen, doch mit seinem Gebaren wehrt er nicht selten eine Depression ab. Überhaupt fällt bei Kindern und Jugendlichen auf, dass ihre Depression viel stärker »verkleidet« daherkommt. Ich sehe darin auch einen Ausdruck ihrer noch altersbedingten größeren Vitalität und Kraft. Gerade hektische Kinder verbergen in ihrer Umtriebigkeit manchmal depressive Züge - und werden so in ihrer Not übersehen, weil sie, wie ein Vater seinen latent depressiven Sohn beschrieb, »ja ständig auf Achse« sind. Kinder, und
ich glaube, dass das der große Unterschied zum depressiven Erwachsenen ist, »externalisieren ihre Konflikte« (Heinemann /Hopf 2008, S. 121): Sie tragen Spannungen mit den Beziehungspersonen ihrer Umwelt aus und nicht im Inneren. Den Eltern fällt dann auf, dass die Kinder ständig unzufrieden und gereizt sind, dass die Kinder ihnen für alles und jedes die Schuld geben - davon können oft Mütter ein Lied singen -, dass sie vor neuen Erfahrungen oder Gruppen zurückschrecken, wenig Neugierde zeigen und für nichts so richtig Interesse entwickeln. Die Eltern bedauern diese Reaktionen dann als »Lustlosigkeit«, »man kann ihn für nichts begeistern«, »sie ist einfach am liebsten zu Hause«.
    Lassen wir, bevor wir zu zwei konkreten Beispielen kommen, nochmals Heinemann/Hopf zu Wort kommen: »Die Depression im Kindesalter ist oft schwer zu erkennen; sie verbirgt sich hinter ängstlich-anklammerndem Verhalten, Versagensängsten, Essstörungen sowie Antriebs- und Interesselosigkeit. Bei Jungen wird die Depression eher über eine Aggressivierung abgewehrt. Sie zeigen Größenfantasien, aggressives Verhalten und Clownerien. Im Jugendalter nimmt die Depression meist die Züge des Erwachsenenverhaltens an und die Depression ist häufiger bei weiblichen Jugendlichen zu finden.« (Heinemann/Hopf 2008, S. 123)
Anna oder: Der tägliche »Leistungsschaulauf«
    Die 19-jährige Anna hat eben ihr Abitur mit großem Erfolg hinter sich gebracht. Sie verstehe nicht, warum sie »so depressiv herumhänge«. Sie wolle und könne sich für kein Studium entscheiden. Düstere Gedanken quälen sie, sie hat keinen Appetit und liegt oft stundenlang wach. »Keiner versteht, warum ich auf mein Einser-Abi nicht stolz bin... Aber ich denk halt, was soll’s, jetzt geht doch alles nur weiter so, so sinnlos, so hohl.«

    Anna ist eine sehr anziehende junge Frau, sie strahlt trotz ihrer Gedrücktheit und spürbaren Verzweiflung emotionale Wärme und Lebendigkeit aus. Sie ist mir auf Anhieb sympathisch. Sie verneint glaubhaft, dass sie suizidal sei.

Weitere Kostenlose Bücher