Dancing Jax - 01 - Auftakt
und mir sagen, an dem Abend, als du es verbrannt hast?«
Paul runzelte die Stirn. »Wozu willst du das jetzt auf einmal wissen?«
»Schau dich doch um!«, zischte Martin und deutete mit einem unauffälligen Nicken zu den eng beieinanderstehenden Grüppchen von Kindern, die in einer Art Singsang aus dem Buch lasen und sich dabei vor- und zurückwiegten. »Hier geht doch etwas nicht mit rechten Dingen zu!«
»Und du willst mir wirklich zuhören – ohne mich zu unterbrechen?«
»Man kann vieles über mich sagen, Paul, aber völlig bescheuert bin ich nicht. Diese Sache fängt an, mir wirklich Angst zu machen.«
»Willkommen im Klub«, bemerkte Paul grimmig. »Du hast ja keine Ahnung …«
»Dann klär mich auf.«
Der Schulgong ertönte und verkündete das Ende der Pause. Paul griff nach seinem Rucksack. Er wollte, dass Martin ein schlechtes Gewissen bekam, weil er ihm nicht schon eher die Chance gegeben hatte, alles zu erklären.
»Weißt du«, sagte er, »wenn ich dir erzählt hätte, dass Aliens daran schuld sind, hättest du mir das eher geglaubt als das, was wirklich passiert. Ständig schaust du dir diesen Fantasykram an und sammelst das ganze Fanzeug und so, aber wenn so etwas tatsächlich passiert, direkt vor deiner Nase, dann fällt es dir nicht auf.«
»Wie meinst du das?«
Paul sah zum Himmel. »Es gibt so viele Filme über Angriffe aus dem Weltall, aber die echten Gefahren sind ganz woanders. Früher haben die Leute das noch gewusst, bevor diese ganzen Wissenschaftler ihnen eingetrichtert haben, dass das dumm ist.« Er deutete auf den Boden. »Da unten, Martin. Von tief da unten, da kommt das alles her.«
Der Mathelehrer starrte ihn an. »Was sagst du da?«
»So was wie Aliens gibt es nicht. Hat es nie gegeben, das ist alles nur ein Ablenkungsmanöver oder so was, damit wir woanders hingucken und das andere vergessen. Dabei sind die Monster längst hier, Martin – da unten. Sie waren schon immer da, und dieses Buch, dieses böse Buch, hat irgendwie damit zu tun.«
»Paul.« Martins Ton war ernst und bestimmt. »So etwas wie Teufel oder Dämonen gibt es nicht, wenn es das ist, was du meinst.«
»Doch, die gibt es«, widersprach der Junge. »Und zwar schon viel länger als Teleskope oder Computer oder Satelliten oder alle, die behaupten, dass es sie nicht gibt. Ich hab gesehen, wie eine aus dem Grill geschossen kam. Mit eigenen Augen. Das waren keine Raketen. Alles, was du die ganze Zeit über für Aberglauben oder Quatsch gehalten hast … ist wahr. Das Böse ist da draußen. Es steckt in jedem dieser Bücher – um das zu kapieren, muss man sich doch nur mal anschauen, was hier in der Schule abgeht!«
Martin wusste nicht, was er darauf erwidern sollte. Der Junge war so felsenfest überzeugt von dem, was er sagte. Offensichtlich hatte Paul die Katastrophe weit schlimmer verstört, als er und Carol angenommen hatten – andererseits …
Abgesehen von ihnen war der Schulhof inzwischen leer. Alle anderen waren bereits zur nächsten Stunde ins Gebäude gegangen. Paul konnte Martin ansehen, dass er ihm kein Wort abnahm. Hatte er ja gleich gewusst.
»Ich hab jetzt Englisch«, sagte er und trottete davon.
»Lass uns in der Mittagspause weiterreden!«, rief Martin ihm hinterher.
»Wozu?«, rief Paul zurück. »Es ist direkt vor deiner Nase und trotzdem weigerst du dich, es zu sehen. Google doch mal den Kerl, der Dancing Jacks geschrieben hat, vielleicht änderst du ja dann deine Meinung.«
»Kommst du in der Mittagspause zu mir ins Lehrerzimmer?«
Paul drehte sich um. Martin konnte ja nichts dafür, er versuchte sein Bestes. Paul rang sich ein Grinsen ab. »Okay, Obi-Wan«, versprach er. »Aber ich kann dir schon jetzt versprechen, dass dir der Appetit vergehen wird.«
Martin lächelte zurück. »Wenigstens nennst du mich nicht Jar Jar«, stichelte er. »Das ist doch schon mal ein Anfang.«
Dann richtete Martin den Blick zu Boden, auf den grauen Asphalt, und stieß mit der Schuhspitze dagegen. »Werd bloß nicht weich, Baxter«, ermahnte er sich. »Es muss eine normale, vernünftige Erklärung für das alles geben.«
Paul beeilte sich, in den Unterricht zu kommen. Die anderen Kinder hatten bereits ihre Plätze eingenommen, als er zur Tür hereinrannte. Er freute sich, Mrs Early wieder an ihrem Pult sitzen zu sehen. Die Englischlehrerin hatte noch immer die Kratzer im Gesicht, die sie Anthonys und Graemes Angriff verdankte, und die langen Ärmel ihrer neuen Strickjacke verdeckten die blauen
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