Dancing Jax - 01 - Auftakt
Speck in die Pfanne warf.
Kurz darauf saßen sie am Tisch und aßen. Traurig sahen die beiden Erwachsenen Paul an.
»Erinnerst du dich an meinen Freund Ian?«, fragte Carol betont beiläufig. Paul kaute mechanisch weiter – das Essen hier hatte keinen Geschmack.
»Ian«, wiederholte sie. »Mein Freund aus dem Krankenhaus.«
»Der Arzt?«
»Er ist Doktor, ja. Ich habe mich gefragt, ob du heute Nachmittag nach der Schule vielleicht mal vorbeikommen und dich mit ihm unterhalten möchtest?«
»Aber hier ist heute Freitag, oder?«
»Ja.«
»Der Junge Paul hat freitags immer Klavierunterricht.«
»Du bist Paul!«, fuhr sie heftig auf. »Außerdem … würde es Gerald nichts ausmachen.«
Ein wehmütiges Lächeln stahl sich auf Pauls Gesicht, als er in Gedanken abschweifte. »Zu Hause ist heute Markttag.« Er seufzte. »Fahrende Händler und Geschäftsleute werden hinter ihren Wägen und Ständen stehen und lustige Reime ausrufen, um Käufer zu reizen und sich gegenseitig zu peinigen. Die Herzkönigin wird wieder wie ein niederes Dorfweib schachern, während ihre Freundin, die Pikkönigin, Intrigen spinnt und hinter einem Fächer aus Krähenfedern schöne Augen macht.«
Carol verschlug es die Sprache. Fragend und bestürzt sah sie Martin an, der sich zu Paul beugte.
»Erzähl uns mehr von dem Markt«, forderte er ihn neugierig auf. »Wie ist es da?«
Pauls kleines Lächeln wurde breiter und er schloss die Augen ein Stück. »Die Farben sind überwältigend«, beschrieb er. »Von den Ballen mit feinsten Stoffen bis hin zu den prallen, reifen Früchten, die in ihrer Pracht mit dem Inhalt der Schatzkammern um die Wette strahlen. Das schüchterne Gold der Aprikosen, das glänzende Kupfer der Zwiebeln und das frische Gelb der Quitten. Die Vielfalt an Renekloden, Pflaumen, Labkraut, Johannisbeeren, Himbeeren … wie wertvolle Edelsteine, die man aus einer Krone stibitzt hat. Dann gibt es noch das brillante glänzende Silber der frischen, zappelnden Fische auf dem nahen Karren. So intensiv, so satt – ein wahrer Strudel aus Farben. Alles unter lustig verzierten Planen, die von Holzpfählen gestützt werden, deren vergoldete, gedrechselte Spitzen in der Sonne strahlen und leuchten.« Mit in die Ferne gerichtetem Blick hielt er inne.
Carol sah Martin an. Noch nie hatte sie ihren Sohn so reden hören. Doch noch war der Junge nicht fertig.
»Und dann die Gerüche!«, fuhr er fort. »Jeder Schritt erfreut mit neuen Genüssen. Düfte, die einem das Herz aufgehen oder das Wasser im Munde zusammenlaufen lassen. Aufgetürmte Gewürze im Ocker des Regenbogens, die die Nasen kitzeln und die Zungen prickeln lassen. Die hängenden Kräuter, mit denen stickige Kammern versüßt oder Tinkturen angerührt werden. Die beißende Würze von mit Nelken versetztem Essig zum Marinieren oder Pökeln, die hungrig macht. Das rosa durchzogene Fleisch, das an den Haken baumelt und aus dem warmes, duftendes Blut in die hellen Steinkrüge darunter tropft. Die Sträußchen, die ihren Duft in die Morgenluft verströmen und alles mit ihrem sehnsuchtsvollen Lied von Veilchen und Rosenknospen durchdringen. Und des Weiteren gibt es noch die magischen Waren, die Güter, die man nur im Land des Prinzen der Dämmerung findet – gib acht, was du dort kaufst und erfeilschst …«
Carol stieß geschockt und verärgert ihren Stuhl zurück. Was war nur mit ihrem Sohn los?
Blinzelnd richtete Paul seinen starren Blick auf sie. »Deshalb, versteht ihr?«, sagte er. »Deshalb muss ich dorthin zurück. Deshalb muss ich dieser schäbigen Gruft entkommen. Wenn ihr mich hierbehaltet, werde ich verwelken und eingehen.«
»Ich rufe Ian an«, verkündete Carol, als sie es nicht länger mit anhören konnte. »Wir treffen uns sofort mit ihm.«
Martin bemühte sich, die Fassung zu bewahren. »Er kann uns nicht helfen«, erklärte er.
»Aber Paul ist krank!«, rief Carol. »Hör doch hin, schau dir seine Augen an!«
Was sollte Martin erwidern? Ja, der Junge wirkte abwesend und nicht normal, aber seine Beschreibungen von diesem Markt waren so detailliert, so anschaulich und echt. Das war nicht einfach irgendwelches Geschwätz im Fieberwahn. Es klang, als wäre er tatsächlich schon einmal dort gewesen. Der Mathematiklehrer wusste nicht, wozu er raten sollte.
»Na schön«, stimmte er ihr schließlich zu. »Bring ihn zu Ian.«
Also fuhr Carol, nachdem Martin zur Schule aufgebrochen war, ihren Sohn ins Krankenhaus, wo Paul von Ian Meadows untersucht wurde – man
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