Dancing Jax - 01 - Auftakt
nahm eine Blut- und eine Urinprobe und befragte ihn. Nach einer Stunde nahm Ian Carol zur Seite und teilte ihr mit, dass mit dem Jungen physisch alles in Ordnung war. Er war durch und durch gesund.
»Abgesehen von den geweiteten Pupillen kann ich nichts feststellen.«
»Aber das allein ist doch schon komisch!«
Der Arzt gab ihr recht. »Mydriasis kann aus einer Reihe von Gründen auftreten«, erklärte er. »Derart erweiterte Pupillen können als Ursache Drogen, Traumata, Krankheit –«
»Er nimmt keine Drogen!«, stellte Carol klar. »Aber Traumata hat es letzten Freitag am Landguard in Massen gegeben. Er war dabei, als die Katastrophe passierte.«
»Nicht die Sorte Trauma. Ich rede von Kopfverletzungen. Etwas könnte seinen Nervus oculomotorius, den Augenbewegungsnerv, beschädigt haben, aber das halte ich in diesem Fall für unwahrscheinlich. Falls ich etwas übersehen habe, werden uns die Testergebnisse mehr verraten. Ich sehe zu, dass das Labor sich beeilt, und rufe dich an, sobald die Befunde vorliegen.«
»Aber woher kommen diese Zwangsvorstellungen, die er hat?«, fragte sie verzweifelt. »Er weigert sich ja sogar, einzugestehen, dass ich seine Mutter bin.«
Der Arzt legte die Stirn in Falten und war etwas ratlos, wie er die Sache erklären sollte. »Und dennoch ergibt alles in seiner Fantasie einen Sinn«, sagte er, während er sich den Nacken massierte. »Alles hat seine eigene innere Logik. Es ergibt sogar mehr Sinn als die meisten orthodoxen Religionen.«
»Aber deswegen ist es noch lange nicht normal!«, widersprach Carol. »Was ist los mit ihm?«
Doktor Meadows kratzte sich am Kopf. »Was Kinderpsychologie angeht, bin ich kein Experte«, räumte er ein. »Ich kann dir aber jemanden empfehlen. Nur vor nächster Woche wirst du keinen Termin bekommen.«
»So lange? Was mache ich denn bis dahin?«
»Behandle ihn einfach ganz normal. Vielleicht kommt er von selber wieder zu sich – wo auch immer er gerade drinsteckt. Es tut mir leid, doch einen besseren Rat habe ich nicht. Aber vergiss nicht: Paul ist in keiner Weise in Gefahr.«
»Nicht in Gefahr?«, schnaubte sie. »Er denkt, dass ich irgendeine Bäuerin bin und dass das hier … dass diese Welt nicht das reale Leben ist. Wie kann er da nicht in Gefahr sein? Was, wenn er sich einbildet, an diesem anderen Ort fliegen zu können und von einem Dach springt? Was, wenn er denkt, dass er unter Wasser atmen kann? Was, wenn –«
»Carol!«, unterbrach Ian sie freundlich. »Werd nicht hysterisch. Der Junge ist nicht dumm. Egal, wie er sich diese andere Welt vorstellt, ihm ist bewusst, dass die Dinge hier anders laufen. Er wird keine Dummheiten machen.«
»Das würde ich nur zu gern glauben«, entgegnete sie. »Und wenn ich hysterisch werde, dann aus verdammt gutem Grund – du kennst mich gut genug, um das zu wissen!«
»Pass auf, warte doch erst einmal das Wochenende ab, vielleicht bessert sich sein Zustand von allein. Montagmorgen rufst du mich wieder an und dann sehen wir weiter. Wenn du möchtest, kann ich dir ein paar leichte Beruhigungsmittel mitgeben, für den Fall, dass er sich zu sehr aufregt.«
Carol schüttelte den Kopf. »Ich setze ihn nicht unter Drogen«, lehnte sie rigoros ab. »Er ist ja kein tollwütiger Hund, sondern mein Sohn.« Jetzt war sie nicht nur enttäuscht, sondern auch wütend. Sie hatten den Weg völlig umsonst gemacht.
»Wenn es dich irgendwie tröstet«, gab ihr Ian noch mit auf den Weg, als sie sein Büro verließ, »Paul ist nicht der erste Fall dieser Art, den ich in dieser Woche behandelt habe. Genau genommen bist du die Siebenundzwanzigste, die zu mir kommt, weil ein Kind oder ein Familienmitglied dieselben fixen Ideen und Wahnvorstellungen hat.«
Carol starrte ihn ungläubig an. »Und du erzählst mir allen Ernstes, dass das kein Grund ist, hysterisch zu werden?«, brüllte sie. »In dieser Stadt geht eine Epidemie um und du wimmelst uns ab mit Schlaftabletten und schlauen Sprüchen!« Damit packte sie Paul an der Hand und rannte aus dem Zimmer.
»Sie sollten sich Blutegel zulegen«, riet Paul dem Arzt noch, bevor er hinter Carol durch die Tür verschwand.
»Davon gibt’s im staatlichen Gesundheitswesen schon genug«, murmelte Ian.
Während er sich seine Notizen noch einmal durchlas, klopfte er wütend auf den Tisch. »Was zum Teufel geht hier vor?«, platzte er heraus und verpasste dem Aktenschrank einen solch heftigen Tritt, dass er sich den Zeh verletzte und die Seite eindellte.
»Kann ich jetzt
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