Dancing Jax - 01 - Auftakt
den Beruf wechseln und etwas völlig anderes tun zu können, doch mit dreiundvierzig war das keine realistische Alternative mehr.
Als er den verlassenen Raum betrat, legte er seine Tasche auf dem nächstbesten Stuhl ab und spülte sich im Waschbecken eine Tasse aus. Durchs Fenster konnte er den Lehrerparkplatz und das Schultor sehen, wo sich noch immer einige der älteren Kids herumtrieben. Er erkannte Emma und die anderen beiden Mitglieder ihres Hexenzirkels, die an den Geländern lehnten und es aufgegeben hatten, ihr falsches Singen zu üben. Ihm war von Anfang an klar gewesen, dass sie die Sache nicht durchziehen würden. Wie so viele andere Menschen heutzutage erwarteten auch sie, Reichtum und Berühmtheit zu erlangen, ohne etwas dafür tun zu müssen. Schließlich wurden ihnen leuchtende Beispiele an Celebrities präsentiert, die weder erkennbares Talent hatten noch hart arbeiten mussten, um berühmt zu sein. Warum also sollten sie es nötig haben? Die Vorbilder der Gegenwart wurden für ihre Dummheit gefeiert, ja vergöttert. Wie konnte es da verwundern, dass es in solch einen Kampf ausartete, manchen Jugendlichen verständlich zu machen, warum Bildung wichtig war.
»Kann ich dich kurz sprechen, Martin?«
Ein kräftig gebauter Mann mit breiten Schultern, einer kleinen Wampe und einem roten Gesicht hatte den Kopf zur Tür hereingesteckt. Martin Baxter fand, dass der Direktor wie ein Schauspieler aussah, der prädestiniert war für die Rolle des keifenden Detective Superintendent im Fernsehen. Vielleicht gab er deswegen einen so patenten Schulleiter ab. Die meisten Schüler hatten einen gewaltigen Respekt vor ihm. Die Guten, weil sie ihn achteten, und der Rest erkannte instinktiv, dass er eine geborene Autoritätsperson war. Barry Milligan duldete keinerlei Blödsinn, von niemandem, und sogar einige Lehrer hatten vor ihm Schiss.
Was allerdings nicht auf Martin zutraf. Dafür waren sie beide schon viel zu lange an dieser Schule – am längsten von allen, die hier arbeiteten. Schon oft hatte Martin darüber gegrübelt, dass sie in der Zwischenzeit sogar eine Haftstrafe für kaltblütigen Mord hätten absitzen können – und längst wieder auf freiem Fuß wären.
»Wie kann ich dir helfen?«, fragte der Mathematiklehrer. »Ich hätte einen äußerst schrecklichen Kaffee im Angebot, allerdings hat leider jemand alle Plätzchen gemopst.«
Barry kam zu ihm herüber. Er erweckte den andauernden Eindruck, als würde er einen jeden Moment festnehmen und einem ins Gesicht brüllen: »Du bist verhaftet, du Stück Scheiße!« Martin verkniff sich ein Grinsen.
»Ich musste mich mit Douggy Wynn rumschlagen, der sich wegen irgend so einem jungen Kerl beschwert hat, den du hast nachsitzen lassen, statt ihn zum Fußball zu schicken«, erklärte der Direktor.
»Meinst du Conor Westlake?«
»Genau, das war der Lausbub! Unser Mr Wynn ist völlig aufgelöst, weil sein bester Stürmer erst zur Halbzeit zum Spiel erschienen ist.«
»Schimpfst du jetzt mit mir?«
Barry klopfte seinem alten Freund auf die Schulter. »Douggy schaut nie über den eigenen Tellerrand«, sagte er. »Für den geht es doch immer nur um sein eigenes Fach und darum, Trophäen zu gewinnen.«
»Nun ja, in den letzten zwei Jahren, die er hier unterrichtet hat, hat er jedenfalls nichts gewonnen«, gab Martin zu bedenken. »Wenn dieser Hampelmann ein Problem damit hat, dass ich den vorlauten Conors dieser Schule ein bisschen Disziplin beibringe, dann kann er kommen und es mir ins Gesicht sagen, anstatt bei dir zu petzen.«
Barry hob abwehrend die Hände. »Ich lasse es dich nur wissen. Aber wenn wir hier an der Schule Rugby anstelle von Fußball spielen würden …«
»Nie im Leben würde ich es wagen, dir dein Lieblingsspiel zu verderben!« Martin lachte.
»Spiel?« Barry schnappte übertrieben nach Luft und setzte eine erschütterte Miene auf. »Wie kannst du so was sagen? Das ist ja Blasphemie, immerhin sprichst du hier von meiner Religion! Übrigens werde ich morgen erneut zum Götzendienst im heiligen Tempel meiner geliebten Saxons antreten.«
Kichernd schüttelte Martin den Kopf. Barrys Herz hatte schon immer dem Rugby gehört. Als er noch jünger war, hatte er selbst für Felixstowe gespielt. In ihren ersten paar Jahren an der Schule war er montagmorgens öfter mit einem seltsamen Kopfverband aufgetaucht oder einem blauen Auge oder einer zerkratzten, schorfigen Stirn, weil ihn dort ein Stiefel getroffen hatte. Auch das war einer der Gründe,
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