Dancing Jax - 01 - Auftakt
blickte, wurde ihm fast schlecht. Panische Angst kroch ihm in die Glieder und schwappte in seinen Magen. Das Mutigste, was er im Leben je vollbracht hatte, war, in diesem Moment weiterzugehen.
Martin senkte den Blick und betrachtete die Haustür – sie stand halb offen. Erwartete man ihn etwa?
Er bemühte sich, an irgendwelche Abenteuerfilme zu denken. Solche, in denen die Helden einen ähnlichen Schuppen wie diesen mit einem flotten Spruch auf den Lippen und einer knallenden Peitsche im Anschlag locker-flockig stürmten. Doch er hatte weder eine Peitsche bei sich noch fiel ihm im Entferntesten irgendetwas Knackiges ein, was er hätte sagen können. Letztlich war er doch nur ein schlichter Mathelehrer und kein Indiana Jones.
»Phaser auf Betäubung, Baxter«, befahl er sich stattdessen. »Teufel noch eins! Wem machst du hier was vor … Vernichten, vernichten!«
Schließlich war es der Gedanke an Carol, die wegen Pauls Verschwinden litt, der ihn anspornte. Also drückte Martin die Haustür auf und trat ein.
Im Haus herrschte pechschwarze Finsternis, trotzdem wartete Martin mehrere Minuten lang, bevor er nach der Taschenlampe griff. Das Haus war erfüllt von einer unerträglichen Stille und widerlichem Nässemief: derselbe Geruch nach triefender Fäulnis, den auch Pauls Computermonitor verströmt hatte. Das einzige Geräusch, das Martin wahrnahm, war das Rauschen des Blutes in seinen Ohren.
Er tastete nach der Taschenlampe und betete, dass nichts Grauenhaftes zum Vorschein kommen würde, sobald er sie anknipste. Wenn er es sich recht überlegte – rein gar nichts wäre auch super. Als er den kalten Metallzylinder in die Hand nahm, musste er an den Knauf eines Laserschwerts denken. Dieser Gedanke tröstete ihn ein klein wenig. Er nahm die korrekte Jedi-Haltung ein, sagte »Bzzzzzzz!« und drückte auf den Knopf.
Einen Herzschlag später fiel der Lichtkegel der Taschenlampe auf eine Treppe. Während Martin summend die Soundeffekte dazu mimte, ließ er den Lichtschein durch die große Eingangshalle gleiten. Was für ein Ort, was für ein bösartiger, abschreckender Albtraum von einem Ort!
Mit kleinen, vorsichtigen Schritten drang er weiter vor. Der lose Parkettboden knarzte unter seinen Füßen.
»Paul?«, flüsterte er. »Bist du hier, Paul?«
Als keine Antwort kam, fühlte er sich sogar erleichtert. Martin spähte in das erste Empfangszimmer. Der leere Lehnstuhl und der kleine Tisch standen noch immer an ihrem Platz. Allerdings vermittelten sie Martin das grässliche Gefühl, dass jemand hier noch immer regelmäßig Platz nahm. Rasch zog er sich zurück und schloss die Tür hinter sich. Da fiel der Lichtschein auf eine offene Tür unterhalb der Treppe. Er riskierte einen Blick hinab in die Finsternis, die zum Keller führte, und hoffte inständig, sich heute Nacht nicht dort hinunterwagen zu müssen. Wie viel schlimmer würde seine Erkundungstour wohl noch werden? Die nervenaufreibendste Szene im schlimmsten Film war nichts im Vergleich hierzu: die Angst vor dem Ungewissen – die grauenhaften Schrecken, die sich im Dunkeln verbargen …
»Ich habe eindeutig zu viele Filme gesehen«, schimpfte Martin mit sich.
Hinter der nächsten Tür tat sich ein länglicher Raum voller leerer Regale auf. Vermutlich war das früher einmal die Bibliothek gewesen. Er fragte sich, wohin die Bücher verschwunden waren und welche diabolischen Werke so jemand wie Austerly Fellows gelesen hatte. Am hinteren Ende des Zimmers offenbarte der Schein der Taschenlampe eine weitere Tür. Vorsichtig ging Martin darauf zu. Weil seine Hand einfach nicht aufhören wollte zu zittern, ruckelte das Licht über die abblätternde Politur – und erleuchtete schließlich einen Messingknauf. Martin drehte ihn und leuchtete dann in den Raum dahinter.
Der Gestank nach kaltem, verrottendem Verfall wurde auf einmal überwältigend. Wie eine Wand stürzte er auf Martin ein. Er hielt sich die Hand vor Mund und Nase und blinzelte vor Überraschung und Ekel. Dann starrte er ungläubig und verwundert auf das, was vor ihm lag.
Auf der Hinterseite des Hauses war über die ganze Länge ein prächtiges viktorianisches Gewächshaus angebaut worden. Es sah aus wie ein Stück vom Londoner Crystal Palace. Schmiedeeiserne Trägerbalken ragten in die Höhe und wanden sich wie gigantische Farnwedel bis unter die gewölbte Decke. Die weiße Farbe, mit der sie bestrichen waren, löste sich hier und da, dennoch boten sie einen atemberaubenden Anblick. Martin konnte
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