Dancing Jax - 01 - Auftakt
Ein schelmisches Lächeln zauberte Grübchen in ihr Gesicht, während sie das Rätsel in ihrem Kopf zu lösen begann, sie multiplizierte, subtrahierte, addierte und schob die Zahlen vor ihrem inneren Auge hin und her. Es fühlte sich gut an. Es fühlte sich echt an. Es war aufregend und stimulierte ihren Geist – weit mehr als der Aufenthalt in Mooncaster.
Aufgekratzt hielt sie nach etwas Ausschau, worauf sie die Lösung schreiben konnte. Aber da gab es nichts und sie selbst hatte weder Kugelschreiber noch Bleistift. Also kniete sie sich schließlich hin, glättete den weichen trockenen Sand, den der Wind über die Kaimauer geweht hatte, und schrieb die Zahlen mit dem Finger hinein: 73145,07734
Diese Zahl kam ihr merkwürdig vertraut vor, als wäre sie etwas Besonderes, etwas, das für sie eine ganz persönliche Bedeutung hatte. Es war ein Spiel, das sie oft mit jemandem gespielt hatte, als sie noch jünger gewesen war. Die Zahl war immer wieder aufgetaucht, in Aufgaben, die sie lösen musste. Es war ein Spaß zwischen Lehrer und Schüler gewesen. Aber Moment … irgendetwas war falsch an der Zahl. Labella betrachtete sie mit halb geschlossenen Augen und versuchte, sich zu erinnern. Dann kicherte sie leise, wischte den Sand wieder glatt und zeichnete die Zahlen, so wie sie damals ausgesehen hatten – auf der Digitalanzeige eines Taschenrechners: 73145,07734
Gebannt starrte Labella darauf. Noch immer stimmte etwas nicht und als ihr bewusst wurde, was es war, musste sie grinsen. Sie stand auf, ging um das Fleckchen Sand herum und schaute sich die Zahl von der anderen Seite aus an. Im selben Moment eroberten sich die Iris um ihre schwarzen runden Pupillen ihren Platz zurück.
»Meine Zahl!«
Erschrocken keuchte Shiela Doyle auf. Dann wurden ihr die Knie weich und sie sank gegen den Sprinter. »Was ist nur mit mir los?«, schluchzte sie. »Oh, Gott, oh Gott!«
Entgeistert starrte sie ihr purpurnes Gewand an, dann warf sie einen ängstlichen Blick zu der Menschenmasse, die um jeden Preis Dancing Jacks kaufen wollte. Shiela drückte sich eng an den Wagen und stahl sich klammheimlich davon. Verstört sah sie sich um und erblickte einen auf der Kaimauer kauernden Mann.
Sie packte den Saum ihres Kleides und rannte auf ihn zu. »Mr Baxter! Mr Baxter!«
Martin hob den Kopf. »Shiela?«, fragte er unsicher.
»Ja! Ja – ich bin’s! Sie haben mich zurückgeholt! Sie haben es geschafft – sie haben mich aufgeweckt! Oh, Mr Baxter!« Sie warf ihm die Arme um den Hals und weinte sich an seiner Schulter aus.
Eine Weile hielt Martin sie einfach nur fest. Die Gedanken in seinem Kopf fuhren Karussell. Also war es möglich, die Macht zu brechen, die das Buch über die Menschen hatte! Es würde sicher nicht leicht werden und lange dauern, jeder Einzelne würde auf andere Reize reagieren, aber es war zu schaffen! Es war also doch nicht so hoffnungslos, wie er angenommen hatte. Erleichterung durchströmte ihn. Die Anstrengungen der letzten Tage waren unerträglich gewesen und um ein Haar hätte er aufgegeben.
»Sag mal«, sagte er, während er darum kämpfte, nicht die Geduld zu verlieren, »weißt du, wo Paul ist?«
Shiela wischte sich an ihrem Rock die Nase ab. »Er ist bei Jezza, dem Ismus. Am Rand des Golfklubs, auf dem Weg zur Fähre – dort steht ein Bunker. Das ist der Eingang zu einem versteckten Innenhof. Dort sind sie alle. Heute findet eine große Feier und ein Markt statt.«
»Noch mehr Bücher?«
Shiela schüttelte den Kopf. »Es sind kaum mehr Bücher übrig! Es gab nur sechs Kisten. Die fünfte haben wir heute fast aufgebraucht. Die letzte hält der Ismus zurück für besondere Leser, was immer das heißen soll.«
»Aber das ist doch großartig! Wenn diese verfluchten Dinger verschwinden, wird alles gut! Ohne die Bücher kann sich dieser Irrsinn nicht weiter ausbreiten!«
»Doch, und zwar mithilfe der Minchetfrucht«, erklärte Shiela. »Sie werden das ekelhafte Zeug in Gärten und Gewächshäusern züchten. Irgendwann wird es überall wuchern!«
Martin hörte nur mit halbem Ohr zu. »Ich muss Paul zuerst da rausholen, bevor ich mich um den Rest kümmern kann«, sagte er. »Hilf mir, Shiela, bitte.«
Nervös blickte die junge Frau zurück zu der lärmenden Menge vor dem Sprinter. »Wenn ich jetzt hier verschwinde, werden der Jangler und die Harlekin-Priester Verdacht schöpfen. Sie müssen allein gehen. Wir werden nicht mehr lange hierbleiben, die Bücher sind fast aus. Ich komme nach, sobald ich kann.
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