Dancing Jax - 01 - Auftakt
Kohlen allmählich erlosch. Die elektrischen Blitze um sie herum wurden schwächer und ließen schließlich ganz nach. Völlig nackt stand Jezza nun da. Mit gebeugtem Kopf schritt er auf den Zeremonienstuhl zu.
»Tu’s nicht!«, bettelte Shiela, deren Verstand Stück für Stück wieder die Oberhand gewann. »Das überlebst du nicht!«
Ihr Freund gab keine Antwort, dafür drehte sich Howie zu Shiela um und sagte mit ruhiger, aber gebieterischer Stimme: »Hab Vertrauen, Labella.«
Und dann, während der Regen in Strömen vom Himmel prasselte, trat Miller vor, aus dessen Gesicht alle Regung gewichen war. Der stämmige Mann hob Jezza an der Hüfte hoch, ließ ihn langsam auf das glühend heiße Metall des Throns nieder und Jezza presste seinen nackten Körper dagegen.
Shiela hielt sich die Ohren zu. Ihre Schreie waren noch lauter als der Donner, der den Hafen erzittern ließ. Sie sah, wie Jezza so fest die Zähne aufeinanderbiss, dass jede einzelne Ader an seinem Hals und seiner Brust hervortrat, dann legte er seine Arme auf die Lehnen des Stuhls. Wieder heulte ein Donnerschlag über ihnen auf – oder war es Jezza?
Miller verbeugte sich und trat dann rückwärts von ihm fort.
»Das reicht!« Shielas Brüllen durchbrach den Zauber, der sich auf sie gelegt hatte. »Das reicht jetzt!«
Sie stürzte vor, packte Jezza an den Händen und zog ihn vom Thron. Zusammengekrümmt wand er sich auf dem Boden und erstickte fast an seinen Schmerzensschreien.
Als sie sah, in welchem Zustand sich sein Rücken befand, griff sie sich einen der Wasserkanister und schüttete ihn über Jezza aus. »Ruft einen Notarzt! Schnell!«
»Nein!«, widersprach Howie.
»Er wird sterben!« Shielas Stimme überschlug sich. »Schau ihn dir doch an – schau dir das an!«
»Es ist wundervoll.« Der Tattookünstler war voller Bewunderung. »Eine ausgezeichnete Arbeit.«
Das Mädchen starrte ihn einen Augenblick ungläubig an. Hatten sie alle den Verstand verloren? Sonst war Howie immer so normal, so vernünftig. Sie holte ihr Handy aus der Tasche und wollte gerade den Notruf wählen, als eine zitternde Hand es ihr aus den Fingern schlug.
»Kein Krankenhaus!«, presste Jezza hervor. »Keine Ärzte! Ich muss … das allein durchstehen!«
»Jezza! Du brauchst Hilfe.«
»Es gibt keinen Jezza mehr!«, brüllte er zurück. Dann brach er zusammen. Mit dem Gesicht zum Boden lag er ausgestreckt da, während der Regen auf seinen Körper niederpeitschte.
Shiela blickte reihum die anderen an. Sie alle starrten auf den Mann zu ihren Füßen. Der Thron hatte ihm merkwürdige Symbole und uralte Schriftzeichen ins Fleisch gebrannt.
»Der Pakt ist besiegelt«, verkündete Howie. »Hebt den Ismus auf. Wir müssen ihn von hier fortbringen.«
Mit größter Ehrfurcht traten Miller, Tommo und Dave zu dem bewusstlosen Mann. Tesco Charlie hatte sich seine Brille wieder aufgesetzt und aus seinem Führerhaus eine Decke geholt. Damit deckten sie den Ismus zu und trugen ihn dann behutsam ins Innere des Lkw-Containers.
Ungläubig beobachtete Shiela das Geschehen. Selbst Manda und Queenie spielten mit und liefen den anderen wie entrückte Götzendienerinnen hinterher.
Howie übergoss den Zeremonienthron mit dem Inhalt der restlichen beiden Wasserkanister und Dampfwolken stoben in den Himmel.
»Komm, Labella«, sagte er, als er mit einem breiten glückseligen Lächeln aus dem weißen Dampf heraustrat. »Frohlocke. Wir haben einen Herrn, der uns leiten und den Dancing Jacks gebieten kann. Sobald sich der Ismus von dem Großen Martyrium erholt hat und sich erhebt, soll die Ordnung wiederhergestellt werden.«
Shiela konnte sich nicht erklären, was in dieser Nacht geschehen war. Aber sie wusste, dass all das auf etwas Schlimmes, Böses und Endgültiges zusteuerte, und es gab kein Zurück.
9
»Heute ist hier alles ruhig, doch in der Nacht von Freitag auf Samstag hat sich genau hinter mir, vor dem historischen Landguard Fort in Felixstowe, eine Tragödie ereignet – eine Tragödie, die das Leben vieler junger Menschen gefordert hat. Vergangenen Abend um 21 Uhr waren hier mehrere Tausend Menschen versammelt, um an einem angekündigten Flashmob teilzunehmen. Jeder von ihnen war durch eine anonyme E-Mail eingeladen worden, die von der Polizei aktuell zurückverfolgt wird. Die genauen Umstände sind noch unklar, doch aus irgendeinem Grund kam es zu einer Prügelei. In die aufgebrachte Menge raste wenig später von dieser Zufahrtsstraße kommend ein Auto, das
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