Dancing Jax - 01 - Auftakt
in einem windschiefen Häuschen mitten im Verwunschenen Wald.«
»Krass, eine gute Fee!«
»Ja, ja, sie gehört zu den Guten, unsere Malinda – anders als Haxxentrot, die griesgrämige Hexe aus dem Verbotenen Turm. Glaub mir, mit der würdest du dich nicht einlassen wollen: Sie ist ein böses altes Hexenweib und immer darauf aus, das fröhliche Treiben am Hofe zu verderben. Malinda ist viel netter. Denen, die mutig genug sind, sie an diesem gefährlichen Ort zu besuchen, schenkt sie Zaubersprüche und magische Schmuckstücke. Dem Karobuben hat sie einmal ein Paar Zauberschuhe geschenkt – egal, wie fest er auch auftritt, egal, worauf er geht, damit macht er beim Laufen nicht das kleinste Geräusch. So hat er auch die Schlüssel des Lockpick gestohlen, während der in seiner Kammer schlief- deren Boden mit Eierschalen ausgelegt ist.«
Hingerissen lauschte Paul. Der Mann erzählte, als wäre dieser Ort real und als würde er die ganzen Charaktere, die dort lebten, persönlich kennen. Er war echt überzeugend.
Martin stand ein Stück weit entfernt. Mittlerweile hatte er sich für eine Folge aus der zweiten Staffel entschieden. Den Gestaltwandler darin hatte er schon immer gut gefunden – der mit den mächtigen Augenbrauen und den fragwürdigen rötlichen Koteletten.
Als er Paul betrachtete, wie er so verzaubert dastand, musste er lächeln. Er war ein toller Junge. Carol hatte bei ihm ganze Arbeit geleistet, obwohl sie ihn allein großgezogen hatte.
»Mr Baxter?«, piepste eine nervöse Stimme in der Nähe.
Martin sah sich um und entdeckte eine junge, leichenfahle Frau, die ihn angesprochen hatte. Eben wollte er die Sache höflich grüßend abtun, als er meinte, sie von irgendwoher zu kennen. Dieses Gesicht …
»Shiela?«, fragte er unsicher. »Shiela Doyle?«
Die Frau lächelte bestätigend. »Sie erinnern sich«, sagte sie und in diesem Augenblick wurde ihr bewusst, dass sie sich schon lange nicht mehr über ein Wiedersehen so sehr gefreut hatte.
»Aber klar doch! Du warst eine meiner besten Schülerinnen. Du hast studiert, nicht? Physik, oder?«
Sie spürte seinen Blick auf ihren schäbigen Klamotten und dem fettigen Haar.
»Ich hab’s im vierten Semester hingeschmissen«, erklärte sie.
»Oh, das tut mir aber leid. Du warst immer eine der wirklich Intelligenten, Shiela.«
»Es war einfach nicht das Richtige für mich. Zumindest dachte ich das damals …«
»Geht’s dir gut? Du wirkst ein bisschen verzweifelt, wenn ich ehrlich bin.« Die junge Frau schien bedrückt, voller Sorge und Unentschlossenheit.
»Mr Baxter«, setzte Shiela zögernd an. »Ich … habe mich gefragt … Meinen Sie, ich könnte …?«
Plötzlich wurde sie vom Ismus abgelenkt, der eindringlich auf einen Jungen einredete.
»Gehört der Kleine zu Ihnen?«, fragte sie überrascht.
Martin lachte. »Ja, tatsächlich.«
»Als ich hier zur Schule gegangen bin, hatten Sie noch keine Kinder, oder?«
»Er ist der Sohn meiner Lebensgefährtin«, erklärte er. »Könnte aber genauso gut mein eigener sein, so gut, wie wir miteinander auskommen.«
»Verstehe …«
»Was wolltest du eben sagen?«
»Ach, egal«, sagte sie schnell. »Lassen Sie ihn ja nicht dieses Buch kaufen. Es ist … ungesund.«
Martin folgte ihrem Blick – er ließ die unrasierte, blasse Gestalt des Ismus auf sich wirken und kam zu dem Schluss, dass er wie ein Dealer aussah.
»Shiela«, flüsterte er. »Geht’s dir wirklich gut? Steckst du in Schwierigkeiten? Vielleicht Drogen?«
Wütend schüttelte sie den Kopf. »Bitte, hören Sie mir zu!«, flehte sie.
»Hey, Martin!«, rief Paul triumphierend und hielt Dancing Jacks mit beiden Händen in die Höhe. »Schau mal, was ich bekommen habe! Der Mann hat es mir einfach so geschenkt!«
»Oh, nein«, stieß Shiela aus.
11
Hier tanzt die schöne Tochter der Herzen, seht nur, welch Schicksal der Fluch über sie gebracht hat! Wer kann ihren Lippen, so rot und prall wie Rosenknospen, widerstehen? Die verbittertste Seele schlachten sie ab.
Wie immer tobten Sandras Brüder im Haus herum und schrien sich gegenseitig an. Sie schloss die Tür zu ihrem ordentlichen in Apfelweiß gestrichenen Zimmer und setzte sich mit einer Tasse Tee an ihren Schreibtisch. Nachdem sie die kleine Lampe angeschaltet hatte, versuchte Sandra in dem Gedichtband weiterzulesen, der ihre momentane Lieblingslektüre war, doch der Lärm, den ihre Brüder verursachten, riss sie immer wieder aus ihrer Konzentration. Sie blätterte in ihren
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