Dancing Jax - 01 - Auftakt
andernorts etwas noch Schlimmeres passiert. Später fand Martin heraus, dass das Exmitglied einer Boyband seine Verlobung mit einer Soap-Schauspielerin bekannt gegeben hatte (woraufhin die Presseteams angekrabbelt kamen, um Aufnahmen von den beiden – mitsamt dem Ring – zu machen). Schließlich waren das die Dinge, die die Leute heut zutage wirklich interessierten.
Auf Martins Beifahrersitz hockte Paul und lockerte seine Finger, um sich auf den bevorstehenden Klavierunterricht vorzubereiten.
»Wie war dein Tag?«, fragte Martin. »Alles gut überstanden?«
Der Junge nickte. »Am Nachmittag war alles schon fast wieder normal. Als wäre das mit dem Fort schon wieder Ewigkeiten her, wie ein Traum oder so.«
»Mir kam es schon währenddessen völlig surreal vor«, stimmte Martin zu. »Solche Dinge passieren hier einfach nicht, meint man immer – und dann passiert es doch.«
»Hast du von den Smileys gehört?«
»Ja. Wenn das mal nicht neuer Stoff für all die Spinner und Verschwörungstheoretiker ist.«
»Ist aber schon ziemlich komisch.«
»Das sind Zufälle immer, trotzdem sind sie nur willkürlich kombinierte Ereignisse – ohne jeden kausalen Zusammenhang. Wäre es ein Smiley weniger gewesen, hätte keiner etwas bemerkt.«
»Und wenn noch jemand stirbt, bringt das auch alles total durcheinander.«
»Lass uns das mal nicht hoffen! Du bist heute aber ganz schön grausig drauf.«
Der Junge lachte. »Das liegt an Anthony Maskel und Graeme Parker heute in der Nachmittagspause. Die waren beide völlig behämmert und haben Zeug gesagt, das gar nicht zu ihnen passt. Ich hab echt nicht begriffen, was die gespielt haben.«
»Deine Kumpel haben dich doch nicht ausgeschlossen, oder?«
»Doch, schon, aber nicht so, wie du jetzt meinst. Sie waren nicht gemein oder so – eigentlich sogar genau das Gegenteil. Es war total bekloppt. Als hätte ihnen jemand eine Gehirnwäsche verpasst oder als hätten ihnen diese Kapseldinger aus dem Weltraum die Körper geklaut, wie bei Die Körperfresser kommen. «
»Klasse Film!«, schwärmte Martin. »Sogar die beiden ersten Versionen sind fabelhaft! Der Hund mit dem Menschenkopf hat mir damals wochenlang Albträume beschert.«
»Haha – ich fand das witzig! Ich wollte auch so einen haben.«
»Du hast auch Das Ding aus einer anderen Welt witzig gefunden! Als ich den das erste Mal gesehen habe, hat mich diese Kopfspinne zu Tode erschreckt. Damals gab es noch keine Computeranimation – solche Kreaturen waren wir nicht gewohnt.«
»Die war süß!«
»Ich geb’s auf – du treibst mich noch in den Wahnsinn.«
Sie hatten die Undercliff Road East genommen, die an der Küste entlangführte. Der weite Himmel über der Nordsee war von grauen Wolken behangen, die Wellen schwappten weiß schäumend gegen die Kiesel und trugen sie davon. Um der Auswaschung der Küste etwas entgegenzusetzen, hatte man Hunderte von riesigen eckigen Betonklötzen in den Strand gesetzt, die wie außerirdische Skulpturen aussahen und die Gewalt des Meeres eindämmen sollten. Wenn man sich Felixstowe auf Google Maps anschaute, wirkten diese Tetraeder aus Beton auf den Satellitenfotos wie hässliche dunkle Dreckflecke – selbst noch bei der höchstmöglichen Auflösung. Gerade so, als hätte man die Bilder zensiert – oder als würden Keimzellen von schwarzem Schimmel aufmarschieren, um die Stadt zu überfallen.
Vor einem großen Haus hielt Martin an. Die Hecken waren makellos getrimmt und das Gras war ein perfekter Rasen, eingerahmt von einer wunderschönen und gepflegten Blumenrabatte. Das Anwesen strahlte eine stillschweigende Erhabenheit aus und verriet nach außen hin nicht, was es war – nämlich eine der auserlesensten Pensionen in Felixstowe. Und hier fanden auch Pauls kostenlose Klavierstunden statt.
Der Junge rannte die Einfahrt hoch und klingelte. Martin folgte ihm.
Ein heiterer, hagerer Gentleman – auf den wirklich kein anderes Wort als Gentleman passte – öffnete die Tür. Auf seinem rosigen Gesicht, das vor Gesundheit strotzte, erschien ein warmes Lächeln, das die Haut um seine hellblauen Augen auf die wohltuendste und freundlichste Art zerknitterte. »Hallo, hallo!«, begrüßte er die beiden mit ehrlich gemeinter Herzlichkeit. »War das nicht ein absolut grauenhaftes Wochenende?«
»Hi, Gerald!«, rief Paul vergnügt.
»Geh und hol dir ein Glas Saft«, schlug der Mann vor. »Du weißt ja, wo du alles findest.«
Grinsend huschte Paul an ihm vorbei und steuerte die blitzblanke
Weitere Kostenlose Bücher