Dancing Jax - 01 - Auftakt
Designerküche an.
»Hast du Zeit auf eine Tasse Tee, Martin?«, fragte Gerald.
Zu gerne hätte der Mathematiklehrer die Einladung angenommen, doch er musste ablehnen. »Leider nicht«, sagte er. »Ich muss heute Abend noch eine Menge korrigieren.«
»Ihr Lehrer arbeitet zu hart.«
»Oh, erzähl das doch bitte mal der Regierung.«
»Und Carol arbeitet auch zu viel. Eine Krankenschwester und ein Lehrer – was für ein Paar. Ihr beide habt doch kaum anständig Zeit füreinander.«
»Wir haben noch nicht mal unanständige Zeit zusammen«, witzelte Martin.
Gerald Benning lachte. Er ging auf die siebzig zu, konnte aber locker für Mitte fünfzig gehalten werden. Er war ein Ausbund an Gesundheit und immer tadellos gekleidet, keine Falte fand je ihren Weg in seine Garderobe – abgesehen von den scharfen Kanten, die er absichtlich hineinbügelte. Sein feines weißes Haar saß stets perfekt und erinnerte an eine kunstvoll zubereitete Portion Schlagsahne.
Das Duntinkling Gästehaus war für ihn mehr ein Hobby als ein Geschäft. Für ihn war es eine Freude, zu kochen und neue Menschen kennenzulernen, dabei wählte er seine Gäste sorgfältig aus. Wenn er gewollt hätte, hätte er die komplette Saison über ausgebucht sein können, doch er konnte es sich leisten, die Angelegenheit entspannter anzugehen, und wollte um jeden Preis vermeiden, dass seine Rolle als geselliger Gastgeber je zur lästigen Pflicht wurde. Daher nahm er nur hin und wieder Reservierungen an.
Kaum ein Detail in der geschmackvoll eingerichteten Pension ließ vermuten, dass Gerald einmal berühmt gewesen war. Auf seinem Klavier standen ein paar Fotos, aber das war im Privatbereich des Hauses, wo zahlende Gäste keinen Zutritt hatten, es sei denn, er fand sie wirklich sympathisch und sie kamen ihm auf die Schliche.
»Den Großteil meines Wochenendes habe ich damit zugebracht, die Anfragen von Journalisten abzuschmettern«, erzählte er. »Eigentlich wollte ich endlich damit weiterkommen, den Teich hinten im Garten zu buddeln, aber ich habe kaum etwas zustande gebracht. Ich hatte ganz vergessen, wie zäh und unangenehm diese Menschen sein können. Na ja, ich habe kurzen Prozess mit ihnen gemacht! Dieses ordinäre Gesindel lasse ich doch nicht unter meine Mako-Satin-Bettwäsche!«
»Sie hatten sich heute wieder vor der Schule aufgebaut«, teilte Martin ihm mit.
»Ich habe es in den Nachrichten gesehen. Ein armes kleines Mädchen und seine Mutter wurden regelrecht von ihnen überfallen. Es ist noch schlimmer als zu meiner Zeit.«
»Das war Molly«, meinte Paul, der eben mit einem halb ausgetrunkenen Saftglas und einem dazu passenden orangefarbenen Lächeln zurückkam. »Sie geht in meine Klasse – die hat einen ganz schönen Aufstand gemacht heute.«
»Ach herrje, das arme Kind!«, sagte Gerald. »Na schön, wenn wir Martin nicht zu einer Tasse Tee überreden können, dann fangen wir wohl am besten an. Ich fahre Paul nach der Stunde heim. Geh du nur los und mach dich ans Korrigieren.«
Er winkte Martin zum Abschied und wollte Paul gerade ins Haus folgen, als er noch einmal stehen blieb. »Wie sieht es denn nächsten Samstag mit Abendessen aus? Habt ihr Zeit?«
»Ja, ich glaube schon.« Martin sagte nur zu gerne zu. Gerald war ein ausgezeichneter Koch und probierte neue Rezepte immer erst an ihnen aus, bevor er die Gerichte seinen Gästen vorsetzte. Ein Abend an Geralds Esstisch war ein wahrer Festschmaus, auf den sich die drei Versuchskaninchen immer freuten. »Carol hat Frühschicht, abends ist also kein Problem. Danke!«
Gerald rieb sich die Hände und blickte dann entschuldigend drein. »Allerdings kann ich leider nicht dabei sein«, informierte er Martin mit aufgesetztem Bedauern. »Evelyn kommt an diesem Tag vorbei und du weißt ja, dass wir es nicht gemeinsam unter einem Dach aushalten.«
Martins Augen leuchteten auf. »Wirklich? Wow, klasse! Ich fühle mich geehrt – ich kann’s kaum erwarten.«
Ein verschmitztes Lächeln huschte über Geralds Gesicht. »Es ist höchste Zeit, dass du sie mal kennenlernst.« Er zwinkerte. »Lass dich nur nicht von ihr zuquasseln. Sie weiß einfach nie, wann es genug ist.« Mit diesen Worten schloss er die Haustür.
Kichernd kehrte Martin zum Wagen zurück und fuhr los.
Bevor er sich vor dreizehn Jahren zur Ruhe gesetzt hatte, war Gerald Benning die eine Hälfte eines äußerst erfolgreichen Comedy- und Musikerduos gewesen. Als sie es gründeten, war ihr Konzept fantastisch einfallsreich und
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