Dancing Jax - 01 - Auftakt
diese Zeit? Außerdem machte er ganz und gar keinen guten Eindruck. Bevor Shaun jedoch etwas sagen konnte, stürmten zwei weitere Männer – mit rußbeschmierten Gesichtern – herein, überholten den Fremden und packten Shaun an den Armen. Einer der beiden hielt ihm mit einer großen Hand den Mund zu.
»Seht nur«, sagte der Ismus, während er hereinschlenderte und den Blick durch das Krankenzimmer schweifen ließ. »Sie wirken so friedlich schlummernd, diese kleinen Invaliden, findet ihr nicht auch? Ein bisschen zu friedlich. Bist du dir sicher, dass sie Albträume haben?«
»Grässliche Albträume«, versicherte Joan. »Manchmal müssen wir sogar die Laken wechseln.«
Der Ismus sah hocherfreut aus und rieb sich die Hände.
Shaun begriff nicht, was vor sich ging. Gefangen im Schraubstockgriff der beiden Männer war er völlig hilflos und konnte nichts tun. Er schielte zu Joan hinüber – die Nachtschwester strahlte verzückt über das ganze Gesicht, während der dürre Eindringling das Zimmer durchschritt, als wäre er hier zu Hause. Was zum Teufel sollte das? Was wollten diese Verrückten? Hatte Joan den Verstand verloren? Shaun wollte schreien, aber die Hand über seinem Mund drückte noch fester zu, sodass seine Lippen schmerzhaft gegen seine Zähne gedrückt wurden.
Als er hörte, wie sich weitere Schritte näherten, schickte Shaun hastige flehende Blicke zur Tür am Ende des Flurs und hoffte, dass es der Sicherheitsdienst war, der sich um dieses durchgeknallte Trio kümmern würde.
Doch leider nein – zwei weitere Gestalten kamen herein und enttäuschten seine Erwartungen. Die eine war eine ungepflegt wirkende junge Frau, die andere ein kleiner untersetzter Mann um die sechzig, der einen feinen dunkelgrauen Anzug trug.
»Ruhe«, befahl der Ismus leise. »Wir dürfen unsere kleinen Schätzchen nicht wecken. Das würde ja den ganzen Spaß verderben.« Dann winkte er den älteren Mann zu sich.
Der kahlköpfige Anwalt trat vor und jetzt sah Shaun auch die Reisetasche, die er in den Händen hielt. Der Mann stellte sie auf den Boden, öffnete die Schnallen und griff hinein.
»Hier ist es, Mylord«, flüsterte Mr Hankinson aufgeregt. »Wie Ihr es vor all den Jahren zurückgelassen habt.«
Er hielt etwas hoch, das wie ein Schuhkarton aussah. Die Pappe war alt, eingedellt und voller kleiner Stockflecken.
»Mein Großvater hat sie in Sicherheit gebracht, in jener Nacht, als Ihr verschwunden seid«, fuhr der Alte fort. »Er hat sie gehütet, ebenso wie mein Vater nach ihm und dann ich selbst.«
Grinsend hob der Ismus den Deckel von der Schachtel und schob das fleckige Zeitungspapier im Innern raschelnd beiseite.
Shaun konnte sich nicht einmal im Ansatz vorstellen, was sich darin befand. Er quälte sich mit allen möglichen Horrorvorstellungen. Was hatten diese Irren vor? Was wollten sie? Was würden sie den Kindern antun? In diesem Moment fiel ihm auf, dass die junge Frau ihn neugierig betrachtete. Auch um ihren Mund entdeckte er die widerlichen gelblichen Flecken, die noch immer an Joans Kinn glitzerten.
»Wehre dich nicht«, riet Shiela. »Dies ist eine glorreiche Nacht. Eine bedeutende Stunde wird bald schlagen. Verbarrikadierte Pfade sollen geöffnet werden. Der Weg soll geöffnet werden. Eine Brücke wird errichtet. Du solltest deinem Schicksal dankbar sein, dass es dich an solchen Wundern teilhaben lässt … Du sollst sehen! « Damit zog sie die Hand aus ihrer Jeansjacke und hielt eine zerdrückte, faulig riechende Frucht hoch.
»Ein kleiner Biss nur und du wirst sehen« ,sagte sie. »Alles wird dir klar werden, so wie mir. Die Trompeten von Mooncaster werden dich zu sich rufen und dieser graue Traum wird ein Ende haben.« Sie hielt ihm die Hand entgegen und einige widerlich stinkende Tröpfchen rannen über ihre Finger.
»Nein, Labella.« Als der Ismus die Angst in Shauns Miene bemerkte, hielt er sie auf. »Noch nicht. Soll Lawrence Nightingale noch eine Weile bibbern. Seine Furcht ist äußerst brauchbar.«
Hilflos musste Shaun mitansehen, wie der Ismus etwas aus der Pappschachtel hob. Was war das – ein altes Radio? Wie abgedreht konnte es denn noch werden?
Langsam fuhr der Ismus mit der Hand über das glatte braune Kunststoffgehäuse. Es sah aus wie ein Röhrenradio aus den Dreißigerjahren – es hatte eine große Anzeige in der Mitte, Drehknöpfe, ein Messinggitternetz über den Lautsprechern und eine glänzende Mahagoniverschalung –, doch es war weit mehr als das.
»Ein wahrer
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