Dancing Jax - 02 - Zwischenspiel
bezeichnen konnte. Zumindest noch nicht. Marcus ärgerte sich, dass man ihn so weit von Charm entfernt platziert hatte. Sie saß ihm schräg gegenüber, was bedeutete, dass seine Aussicht auf sie durch das Schloss in der Saalmitte versperrt wurde. Was hatte er denn davon, so gut auszusehen, wenn sie ihn nicht mal sehen konnte? Er hatte gehofft, sie doch noch rumkriegen zu können, indem er sie neckte und mit Weintrauben oder einem zusammengedrückten Stückchen Brot bewarf. Aber einfach so ins Blaue über das Schloss zu feuern, traute er sich nicht.
»Am Ende treffe ich sie noch am Kopf oder ins Auge«, grummelte er vor sich hin. »Was so was angeht, versteht sie bestimmt keinen Spaß – falls sie überhaupt über irgendwas lacht. Wahrscheinlich wäre sie eher mächtig sauer.« Ein verstohlenes Lächeln stahl sich auf sein Gesicht, als Marcus sich vorstellte, voll ins Schwarze zu treffen und ein Geschoss in ihrem Ausschnitt zu versenken.
Dann schaute er sich das Schloss vor seiner Nase genauer an. »Und deshalb der ganze Aufstand? Da kommen also angeblich alle hin, die DJ lesen, ja? Hätten sie da nicht genauso gut ’nen Ausflug nach Disneyland machen können?«
Marcus stieß Spencer, der das Pech hatte, neben ihm zu sitzen, in die Rippen. »Na, was meinst du, Herr Spenzer? Kann das mit Schloss Neuschwanstein mithalten?«
Spencer ignorierte ihn und nippte an seinem Bier, während er einen Bissen Pastetenkruste kaute.
»Das ganze Fett da drin ist wie Dünger für deine Pickel, Alter«, kommentierte Marcus angewidert.
Jody fand den Anblick des Modells schauderhaft. In ihren Augen war dieses Schloss düster und abschreckend, eine feudale Festung, von wo aus privilegierte Adelige den Rest des Landes regierten und die kleinen Leute unterdrückten. Lieber richtete sie ihre Aufmerksamkeit also auf das Essen und stellte erleichtert fest, dass man auch mehrere Obstschalen aufgetischt hatte. Zwischen Äpfeln, Trauben, Birnen und Granatäpfeln sah sie deutlich diesen Minchetmist, aber die schmierigen Rückstände konnte sie leicht vom übrigen Obst abwischen. Außerdem gab es kleine Schalen voller Mandeln und Haselnüsse. Hungrig futterte Jody los.
Christina und die anderen kleinen Kinder waren von dem Schloss regelrecht hingerissen. Einige wollten zu gern damit spielen, obwohl sie wussten, dass es eigentlich etwas Schlechtes war. Es hatte ihren Familien die Liebe gestohlen. Es war gleichzeitig bezaubernd und schrecklich, in etwa so wie Feuer.
Als Christina einen Blick zu Jody warf, verfinsterte sich ihre Miene vor Schmerz und Ärger. Dann nahm sie ihren Bratenspieß und schlug damit ein paarmal gegen ihren Teller. Als sie sicher war, Jodys Aufmerksamkeit zu haben, stieß die Siebenjährige den Spieß tief in die Schnauze eines Spanferkels.
Jody erschrak. Christina grub die Nägel in eins der glasierten Ferkelohren und riss es ab. Hastig drehte Jody sich weg und wünschte, sie wäre vorhin nicht so gemein gewesen. Sie hatte Christina davor bewahren wollen, verletzt zu werden, und hatte damit vielleicht einen noch viel größeren Schaden angerichtet.
Jim Parker wirkte abwesend. Mit dieser detailgetreuen Nachbildung vor sich konnte er seiner Fantasie bestens freien Lauf lassen. Er stellte sich vor, es sei ein echtes Schloss und er würde darüberfliegen. Jim liebte Comics und war seit der Übernahme von Dancing Jax nur noch mehr in diese Welt abgetaucht. DC, Marvel – er verschlang sie alle. Doch seine Lieblinge waren die X-Men. Wenn er ein Mutant wäre und fliegen könnte – oder vielleicht sogar Superman wäre –, dann könnte er jedes Gebäude von ganz weit oben sehen. Schüchtern lächelte er in sich hinein, und als er überzeugt war, dass keiner hinsah, presste er die Spitze seines Messers in seinen Daumen. Ein Blutstropfen quoll hervor.
»Also noch immer nicht«, murmelte er enttäuscht. »Wie lange dauert das noch?«
Zur gleichen Zeit spürte Spencer schon wieder einen Stoß gegen seine Rippen.
»Wäre es nicht abgefahren, wenn aus dem Schloss da eine Stripperin springen würde wie aus ’nem großen Kuchen?«, gackerte Marcus. »Das fänd ich spitze!«
Spencer hörte nicht zu. Schon den ganzen Nachmittag lang grübelte er über etwas nach, was ihm einfach keine Ruhe ließ. Seit dem Zeitpunkt, als man sie in ihre Unterkünfte gebracht hatte, verfolgte ihn dieses ungute Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Klar, sie alle fühlten sich unwohl und hatten Angst, immerhin waren sie hier, weil man ihnen eine
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