Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dancing Jax - 02 - Zwischenspiel

Dancing Jax - 02 - Zwischenspiel

Titel: Dancing Jax - 02 - Zwischenspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Jarvis
Vom Netzwerk:
wurden von totaler Finsternis verschluckt. Einige der kleinen Mädchen schrien verängstigt auf, sodass man sie im ganzen Camp hören konnte.
    »Acht Uhr«, stellte Marcus fest. »Zapfenstreich.«
    »Noch so was, woran wir uns gewöhnen müssen«, meinte Lee und drehte sich auf die Seite.
    »Ich nicht«, schwor sich Marcus.
    »Du hast heute gute Arbeit geleistet, Casanova. Hast dem Kleinen alle Ehre erwiesen. Vielleicht bist du ja doch kein so großer Arsch.«
    Marcus schnaubte. »Ist echt so was nötig, damit wir beide Kumpel werden? Zusammen das Grab von so einem armen Kerl ausheben?«
    »Habe nie behauptet, wir wären Kumpel«, korrigierte Lee ihn. »Gute Nacht, Schlappschwanz.«
    Marcus wusste nicht, ob Lee es ernst meinte, aber im Augenblick war ihm das auch egal. Er war geistig, emotional und physisch völlig am Ende. Er tastete sich in der Dunkelheit zu seinem Bett und krabbelte hinein. Innerhalb von Minuten war er tief eingeschlafen.
    Lee blieb hellwach. Es gab da etwas, das er tun musste. Er schloss die Augen und konzentrierte sich. Leise und kaum hörbar wisperte er die Anfangssätze von Dancing Jax. Wieder spürte er in seinem Herzen diesen heftigen Krampf und seine Haut begann am ganzen Körper zu jucken. Dann stellte sich das Gefühl von eisiger Kälte ein, die ihm entgegenwehte, gefolgt von rauschendem Tosen in den Ohren, dem flauen Gefühl im Magen und dem Brennen in seiner Kehle.
     
    Es war ein milder Herbstnachmittag im Reich des Prinzen der Dämmerung. Auf den Hecken glitzerten noch immer die Tropfen eines süßen Regenschauers und ließen die prallen und saftigen Brombeeren funkeln. Das Königreich war reingewaschen und die Lerchen sangen in einem Himmel aus unvergesslichem Blau.
    Lee sah auf. Vor ihm lag eine einsame Landstraße. In der diesigen Ferne konnte er hinter den strohgedeckten Dächern und rauchenden Schornsteinen von Mooncot die hoch aufragenden Türme und Zinnen des Weißen Schlosses sehen, die im Sonnenlicht glänzten. Er trat einen Schritt zurück. Jedes Mal, wenn er hier ankam, war er überwältigt, doch allmählich gewöhnte er sich daran.
    Als sein Absatz platschend in einer Pfütze verschwand, schaute er nach unten auf seine schlammigen Nikes. Mit einem erschreckten Aufschrei auf den Lippen begutachtete er sich vom Schuh über die Jogginghose bis zum T-Shirt. Er konnte sich sehen! Diesmal war er tatsächlich sichtbar, nicht nur eine Schattengestalt, keine flüchtige Erscheinung. Er war ganz und gar hier! Trotzdem gehörte sein Geist noch immer ihm allein, er steckte nicht im Kostüm einer dieser lahmen Märchenfiguren, und er wusste genau, wer er war. Voller Erwartung hob er die Hände vor die Augen. Dann machte er einen Freudensprung und jauchzte euphorisch. Seine Haut war schwarz.
    »Wer geht da?«, rief eine pfeifende Stimme von oben.
    Lee wirbelte herum. Er wollte nicht entdeckt werden. Als er sah, wer ihn angesprochen hatte, entspannte er sich jedoch wieder und lachte.
    Am Straßenrand stand ein Galgen. Im eisernen Käfig, der darunter hing, kauerte eine verhutzelte, abgemagerte Gestalt, mehr Knochen als papierdünne Haut. Zerrissene Lumpen, die vom Alter grau waren, bedeckten den ausgemergelten Leichnam. Stränge von grauem Haar klebten an dem wurmzerfressenen Schädel, doch in den dunklen Augenhöhlen waren keine Augen. Blutkrähen, die Haxxentrot geschickt hatte, hatten sie schon vor langer Zeit verspeist.
    »Wie könnt Ihr es wagen, mich derart zu verspotten?«, verlangten die klappernden Kiefer zu wissen. »Niemand verhöhnt Oak-Chested Jacky Samson – ein Bär von einem Kehlenschlitzer, der Baron, der zum Dieb wurde, Geißel der Nördlichen Grenzländer – und noch immer lebendig!« Zwei Skeletthände umfassten die Stäbe des Eisenkäfigs, um kräftig daran zu rütteln, doch das Einzige, was klapperte, waren die gebrechlichen Knochen.
    »Wie lange hängst du schon da oben rum, Alter?«, fragte Lee. »Der mächtige, coole Typ, für den du dich hältst, bist du nämlich schon lang nicht mehr.«
    Der Kiefer knirschte mit den Zähnen, woraufhin prompt einer ausfiel. Das Skelett sackte in sich zusammen und ächzte traurig. »Neun Winter sind schon ins Land gegangen, während ich in diesem rostigen Überrock baumle. Wie hätte ich wissen sollen, dass das alte Mütterchen, welches mein Pferd im Vorbeireiten in einen Bach stieß, eine Hexe war? Berühmt war ich, zu meiner Glanzzeit. Der große, stämmige Jacky Samson, Räuber und Teilzeitpirat von edlem Blute. Als der

Weitere Kostenlose Bücher