Daniel Briester - Friedemann, A: Daniel Briester
Finger.
Sie öffnete das Buch und sah erstaunt die Schrift ihres Bruders. Sie setzte sich, begann zu lesen, Seite für Seite. Termine, kurze Notizen, eine Art Tagebuch, wenn nur zeitweise, in Kurzform. Sie blätterte, las weiter. Jetzt kroch Wut in ihr hoch. Der war wohl bescheuert, so was über sie zu schreiben. Was bildete sich dieser Kerl ein? Na, der hatte Glück, dass er nicht da war. Sie legte es in die Tasche. Schnell arbeitete sie sich durch die Räume und verließ ein wenig erleichtert das Schiff, sah sich nochmals um, bevor sie losfuhr.
Zu Hause stellte sie die Taschen zunächst beiseite. Das hatte sie mehr mitgenommen, als sie gemerkt hatte. Sie fiel auf die Couch, kam sich völlig erschöpft vor.
Daniel verließ sein Büro, kam an vertrauten Gesichtern vorbei, als er den Korridor entlang schritt. Allmählich kannte er die Menschen, grüßte hier und da, blieb kurz stehen, um jemanden mit Akten die Tür zu öffnen. Etwas überrascht stellte er fest, dass er sich langsam heimisch fühlte, dass er sich an all die Fremden gewöhnt hatte, dass ihm seine Arbeit Spaß bereitete, im gewissen Rahmen jedenfalls. Es war nicht mehr nur sein Fluchtweg, nein, es wurde sein Zuhause. Allerdings war anders gekommen, als er erwartet hatte. Er war inzwischen in diesen Sumpf verstrickt, durch seine eigene Unbeherrschtheit. Das war es aber, das ihn belastete. Er hätte nie gedacht, dass er einmal alles verraten würde, dass er gelernt und für rechtens empfand, aber genau das hatte er getan. Er hoffte nur, dass diese Larsen das nicht weiterausnutzen und ihn damit fortlaufend erpressen würde. Das war es, das ihm zudem auf dem Magen lag. Er wusste, dass er damit seinen Job, seine Karriere aufs Spiel gesetzt hatte. Im Übrigen hatte er das Gefühl, Volker verraten zu haben. Diese Frau gehört eingesperrt, in psychiatrische Behandlung, aber er hatte, nur weil er geil auf sie gewesen war, dem Druck von Keitler nachgegeben und zu all den Vorkommnissen geschwiegen. Nur was würde daraus entstehen?
Er überlegte, wann er das letzte Mal an Aufbruch, Ende oder nur an Veränderung gedacht hatte? Das war Tage her und das schwarze Etwas kam seltener. Er war sogar heute Morgen richtig wohl gelaunt aufge- standen, ohne sich Sorgen zu machen, wie er diesen Tag überstehen sollte. Gestern Abend war er ins Bett gefallen, ohne Angst vor der Dun- kelheit, vor Albträumen zu haben. Das Bedrohliche konnte zwar wieder- kommen, denn vollständig aus seiner Umklammerung war er noch nicht heraus, aber es war nicht so schlimm. Es würde ihn umklammern, aber nicht so heftig und fest. Er konnte sich dagegen wehren, brauchte nicht verzweifeln. Ja, er würde sein Leben wieder in den Griff bekommen.
Seit fast einer halben Stunde stand er im Stau, fühlte sich langsam genervt. Er fädelte in die rechte Spur ein, drehte das Radio etwas lauter. Er sah rechts, die heute in der Sonne glänzenden Hochhäuser der City, den Turm des Michels. Die Ludwig-Erhard-Straße war bedingt durch die Bauarbeiten verstopft und irgendwie war kein Vorankommen. Entschlossen schaltete er die Sirene an, stellte Blaulicht auf den Wagen. Er würde sonst noch Stunden dauern, bis er zur Klopstockstraße kommen würde. Jetzt kam er schneller vorwärts. Erst als er den Stau hinter sich hatte, schaltete er beides wieder ab und suchte einen Parkplatz.
Er klingelte und wenig später öffnete sie.
„Was willst du hier? Der Fall ist für euch erledigt.“
„Lässt du mich bitte herein?“
„Meinetwegen. Willst du ein Glas Wein?“
Das am Vormittag? „Gern“, erwiderte er, da er sie nicht verärgern wollte. Er bemerkte die Tasche, die Tüten an der Seite, sagte jedoch nichts dazu, zog seine Jacke aus. Diese wohnung war ein saustall, passte zu der Hure.
„Was ist das für ein Glas? Sammelst du jetzt Pfennige für die Brautschuhe?“
„Wie geht es dir? Hast du mit deiner Mutter gesprochen. Ich glaube, das geht ihr sehr nah.“
„Nein und woher willst du das wissen? Was geht mich diese Frau ... Ach, ist ja egal.“
Sie stellte das Glas mit der hellen Flüssigkeit, die wie Gold glänzte, vor ihm ab., ergriff selber ein Glas mit etwas Rotem. Wahrscheinlich etwas stärkeres, mutmasste er.
„Sie war gestern bei uns und hat von ihrem Sohn Abschied genommen.“
„Ach, ja? Meinetwegen! Wann wird er freigegeben?“
„Am Donnerstag wird er neben deinem Vater beigesetzt. Hättest du mit ihr gesprochen, wüsstest du es“, es klang vorwurfsvoll und so schaute sie ihn an.
„Wahrscheinlich hast
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