Daniel Taylor und das dunkle Erbe
Geschäftig überprüfte er die Transfusion und vermied es, James anzusehen.
Ein Lächeln huschte über James’ Lippen, als er in seinem ehemaligen Sandkastenfreund den blassen und etwas dicklichen Jungen von damals sah, der vor alles und jedem Angst gehabt hatte. »Ich werde Anne alles erklären und ein gutes Wort für dich einlegen.«
»Danke«, sagte Peter.
»Nein, Peter, ich muss dir danken.« James warf einen langen Blick auf Daniel, der immer noch unbewegt neben ihm lag. »Du hast so viel für mich getan. Ich weiß nicht, wie ich das je gutmachen kann.«
Nicht nur die sterile Umgebung und die nach Desinfektionsmitteln riechende Luft schnürten Vanessa die Kehle zu, sondern auch Daniels Anblick. Er lag seit vier Stunden im Krankenhaus und hatte das Bewusstsein noch nicht wiedererlangt. Links von seinem mit weißen Laken überzogenen Bett saß Anne, rechts Vanessa. Sie hielt Daniels eiskalte Hand, die an einem Tropf hing, und bemühte sich, stark zu bleiben, während Anne ungeniert weinte.
Der Monitor über dem Bett piepste.
Vanessa hatte nicht viel für Krankenhäuser übrig. Die Atmosphäre war ihr zu kühl und erinnerte sie jedes Mal an ihre Blinddarmoperation vor vielen Jahren, als sie ein kleines Mädchen gewesen war. Sie hatte sich in der kurzen Zeit sehr allein gefühlt, obwohl Mom oder Dad so oft vorbeigesehen hatten, wie sie konnten. Jetzt fühlte sie sich auch allein. Ihr kam es vor, als wäre Daniel meilenweit weg, obwohl er direkt neben ihr lag.
»Wenn mich Danny nicht so ausgeschlossen hätte, wäre es nie so weit gekommen.« Anne tupfte sich schniefend mit einem Taschentuch die rot geränderten Lider ab. »Was bin ich nur für eine Mutter, dass ich nicht erkannt habe, was mit ihm los ist?«
»Wie meinst du das?« Nessa fühlte sich unendlich schuldig, weil sie Anne das mit den Kopfschmerzen nicht erzählt hatte. Aber Danny hätte ihr das sicher nie verziehen. Angestrengt starrte sie auf sein Gesicht, das so aussah, als würde er schlafen. Seine Lippen waren blass und leicht geöffnet, seine Brust hob und senkte sich langsam, aber regelmäßig. Auf seinen Oberkörper hatte eine Schwester mehrere Elektroden aufgeklebt, die seine Herztöne überwachten. Lange, dünne Kabel führten unter der Decke hervor zu dem nervig piepsenden Gerät, das Vanessa am liebsten ausschalten wollte. Der Ton machte sie noch ganz verrückt! Ab und zu klopfte Daniels Herz wild und ließ Anne und sie besorgt aufsehen, im Moment schlug es jedoch wieder regelmäßig. Der Blutdruck und der Sauerstoffgehalt des Blutes wurden ebenfalls gemessen, doch Dr. Graham, der ab und zu vorbeisah, konnte ihnen nicht sagen, was ihm fehlte. Außerdem bekam Danny eine Infusion: Ein Beutel, gefüllt mit einer klaren Flüssigkeit, befand sich an einem Ständer neben Anne. Vanessa konnte den Tropf kaum ansehen, es drehte ihr ohnehin schon den Magen um.
»Anne?«, fragte Vanessa erneut, weil sie keine Antwort erhielt.
Mrs. Taylor schien sie nicht gehört zu haben, sie war in Gedanken versunken. »Ich wollte es Danny letztes Jahr sagen, doch dann ist Peter fort und ich wollte ihn nicht zusätzlich belasten.«
»Anne, wovon sprichst du?« Vanessa beobachtete Daniels Mutter, die ihrem Sohn liebevoll eine dunkle Strähne aus der Stirn strich.
»Er ist so ein hübscher Junge, das war er schon als Baby.« Anne seufzte. »Damals war ich hier bereits Krankenschwester. Als ich diesen kleinen Kerl mit den großen runden Augen und dem schwarzen Haarflaum zum ersten Mal sah, hab ich mich sofort in ihn verliebt.«
»Ich habe gehört, das geht jeder Mutter so.« Vanessa wusste immer noch nicht, worauf Anne hinauswollte.
Anne hob den Kopf und blickte Vanessa in die Augen. »Daniel ist nicht mein leiblicher Sohn. Peter und ich haben ihn adoptiert, als er ein Jahr alt war. Wir haben uns damals so sehr ein Baby gewünscht, doch es sollte nicht sein. Ich kann keine Kinder bekommen.«
»Was?!« Vanessa glaubte, sich verhört zu haben. Er war nicht ihr Kind? Aber … das konnte nicht sein! Dann fiel ihr ein, dass sie sich schon oft gefragt hatte, von wem Daniel sein Aussehen geerbt hatte, vor allem das rabenschwarze Haar. Anne war blond und viel kleiner als Danny, und auch Peter war nicht besonders groß, hatte braunes Haar. Da Nessa Daniels Großeltern nicht kannte, hatte sie immer vermutet, er hätte seine Gene von ihnen.
»Danny lag nach seiner Geburt über ein halbes Jahr auf der Intensivstation«, fuhr Anne fort und wandte sich wieder Daniel zu.
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