Danielle Steel
ersten Augenblick an den geborenen Piloten hinter dieser Fassade geahnt, und er hatte sie nun unwiderruflich in seinen Bann gezogen.
Als das Essen serviert wurde, erzählte Kate von einigen Begebenheiten aus Radcliffe, und Joe begann sich zu entspannen. Sie hatte einen unfehlbaren Weg gefunden, ihn aus der Reserve zu locken. Er fühlte sich in ihrer Gegenwart w ohl. Er spürte, dass Kate sein wahres Wesen erfasst hatte.
Langsam ga b Joe seine Zurückhaltung auf. Auch das gefiel
81
ihm an Kate: W enn er selbst nicht dazu in der Lage war, reichte sie ihm die Hand und half ihm dabei, sich zu öffnen. Er war ihr dafür von Herzen dankbar.
Es gab viele Dinge, die Joe so sehr für Kate einnahmen, dass er sich manchmal fast davor fürchtete. Doch er hatte k eine Ahnung, was er dagegen tun sollte. Sie war viel zu jung für ihn, und ihre Familie verhielt sich alles andere als erm utigend. Kate hatte vernünftige, fürsorgliche Eltern, die nicht zulassen würden, dass ihrer Tochter irgendetwas geschah. Sie waren nicht dazu bereit, ihr allzu viele Freiheiten zu gewähren.
Aber Joe wollte mit ihr zusammen sein, ihre Wärme und Fürsorglichkeit genießen. Manchmal fühlte er sich in ih rer Gegenwart wie eine Eidechse auf einem Felsen, die den Sonnenschein aufsog. Er fühlte sich behaglich und unbefangen. Er war einfach glücklich! Manchmal schien ihm aber gerade das gefährlich zu sein. Er wollte sich nicht der Gef ahr aussetzen, verletzt zu werden. Vielleicht wäre es anders, wenn sie älter wäre. Aber das war nun einmal nicht der Fall. Kate war ein achtzehnjähriges Mädchen, und er selbst war dreißig.
Der Tag verging viel zu schnell. Für eine Weile zogen Joe und Kate sich in die Bibliothek zurück und spielten Karten. Joe zeigte Kate, wie m an Bluff spielte. Sie spielte überraschend gut. Zweimal gelang es ihr sogar, ihn zu schlagen, und sie klatschte in die Hände und freute sich wie ein Kind. Abends lud Joe sie zum Dinner ein.
Sie hatten ein schönes Wochenende miteinander verbracht, und als Joe Kate eine gute Nacht wünschte, wusste er nicht, wann er sie wieder sehen würde. J oe plante, zu W eihnachten wieder in New York zu sein, doch Charles Lindbergh und er hatten bis dahin noch viel Arbeit vor sich. Sie wollten einen neuen Motor entwickeln. Joe wusste, dass dies schwierig sein würde, denn Charles hatte nur wenig Zeit. Er war dauernd unterwegs, hielt Vorträge und war führendes Mitglied in der Bewegung America First, die sich gegen den Eintritt der USA in
82
den Zweiten Weltkrieg engagierte. Joe selbst hatte ebenfalls viel zu erledigen. Vielleicht blieb ihm gar keine Zeit f ür eine Reise nach Boston. Er zögerte, Kate zu fragen, ob sie ihn nicht besuchen wolle. Aber es hatte keinen Sinn, nach den Sternen zu greifen. Und ihre Eltern wären damit sicher nicht einverstanden. Kate schien stiller als gewöhnlich zu sein, als Joe sich von ihr verabschiedete. Sie standen auf der Treppe vor dem Haus, und zum ersten Mal seit langer Ze it machte Joe wieder einen unbeholfenen Eindruck.
»Passen Sie gut auf sich auf, Kate«, bat er und blickte auf seine Schuhspitzen hinunter.
Doch Kate schaute ihn lächelnd an. Am liebsten hätte sie seine Wange gestreichelt und ihn gezwungen, ihren Blick zu erwidern, doch sie tat es nicht. Sie wusste, dass sie nur einen Moment warten musste, dann würde er sie von sich aus anschauen. Im nächsten Augenblick blickte er auf.
»Ich danke Ihnen, dass Sie mich mitgenommen haben«, flüsterte Kate. Jetzt hatten sie ein Geheimnis, das sie miteinander teilten. »Kommen Sie heil zurück nach Kalifornien. Wie lange werden Sie brauchen?«
»Um die acht Stunden, es hängt vom W etter ab. Über dem Mittleren Westen braut sich ein Unwetter zusammen. Vielleicht muss ich weit in den Süden hinunterfliegen, über Texas. Sobald ich dort bin, rufe ich Sie jedenfalls an.«
»Das wäre schön.« In Kates Augen war all das zu lesen, was sie ihm nicht gesagt hatte. Dabei verstand sie selbst nicht, was eigentlich in ihr vorging. Das Band, das in Joes Flugzeug zwischen ihnen gewoben worden war, ex istierte vielle icht nur in ihrer Einbildung. Kate hatte keine Ahnung, was Joe für sie empfand, ob es überhaupt etwas anderes war als brüderliche Zuneigung. Sie war so gut wie sicher gewesen, dass ihn allein freundschaftliche Gefühle nach Boston geführt hatten. Er hatte ihr keinerlei Hinweise auf etwas anderes gegeben, und auch jetzt
83
tat er es n icht. Manchmal schien er geradezu väterliche Gef
Weitere Kostenlose Bücher