Danielle Steel
Stimme lauschte und m it aller Kraft versuchte, die Furcht beiseite zu schieben. Der Gedanke daran, dass er in den Krieg geschickt würde, erfüllte sie mit blankem Entsetzen.
»Unternehmen Sie nichts, bis ich mich wieder melde! Vielleicht werde ich für ein paar Tage nach New York geschickt. Das hängt davon ab, ob ich noch an einer Übung teilnehmen muss. Es kann aber auch sein, dass ich direkt von Washington aus nach England in ein Trainingslager fliege.« Joe war überzeugt, dass er nach England geschickt werden würde. Er wusste nur noch nicht, wann. »Jedenfalls ist mir England lieber als Japan.« Am selb en Morgen hatte m an die verschiedenen Möglichkeiten mit ihm besprochen. Er war bereit, dorthin zu gehen, wo er gebraucht wurde.
»Ich wünschte, Sie könnten hier bleiben!«, rief Kate
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verzweifelt. Sie dachte an all die jungen Männer, die sie kan nte, mit denen sie aufgewachsen und zur Schule gegangen war. Die meisten von ihnen hatten Schwestern, Freundinnen oder Ehefrauen, und für alle war die Situation niederschmetternd. Eine Reihe von Kates Freundinnen war bereits verheiratet und dabei, eine Fa milie zu gründen, und jetzt schien mit einem Mal das Leben zu zerbrechen. Es hatte keinen Sinn, die Augen vor der Tatsache zu verschließen, dass viele Sold aten nicht mehr zurückkehren würden. Überall herrschte eine gedämpfte Atmosphäre. Die Mädchen im Co llege liefen mit verweinten Gesichtern umher und unterhielten sich nur noch im Flüsterton. Alle fürchteten sich vor der Zukunft. Es gab sogar das Gerücht, dass die Städte an der Ostküste bald von deutschen U-Booten angegriffen werden würden. Niemand im ganzen Land fühlte sich mehr sicher, seit die Nachricht von dem Angriff auf Ha waii in den Radios gesendet worden war.
»Versuchen Sie, sich nicht zu sehr aufzuregen, Kate! Bleiben Sie eigentlich in der Schule oder fahren Sie nach Hause?« Joe musste wissen, wo er sie finden konnte. Vielleicht blieben ihm nur wenige Stunden bis zum Aufbruch. W enn er sie noch treffen wollte, hatte er kein e Zeit zu verlieren.
»Ich fahre heute Nachmittag zu m einen Eltern. Wir haben bis nach den Weihnachtsferien frei.« Das W eihnachtsfest würde schrecklich werden.
»Ich werde wahrscheinlich in zwei Stunden aufbrechen. Alles hängt vom Wetter ab. Morgen werde ich in Washington eintreffen. Es gefällt mir überhaupt nicht, dass ich hier alle s stehen und liegen lassen muss.« Doch Joe hatte keine Wahl. Im ganzen Land ließen die Männer ihre Fam ilien zurück und zogen in den Krieg.
»Wie ist denn das Wetter? Können Sie überhaupt starten?« Kates Stimme war voller Sorge. Jo e hätte sie so gern beruhigt, aber er wollte sie auch nicht an lügen. Kate fühlte sich allein durch den Klang seiner Stimme getrö stet. Er schien so
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vernünftig und unerschütterlich. Die Hysterie, die um sich griff, schien ihn nicht zu berühren. Er glich eine m Fels in der stürmischen See.
»Das Wetter hier ist gut«, entgegnete er ruhig. »Ich weiß nur nicht, wie es weiter ostw ärts aussieht.« Er würde zusammen mit zwei Kollegen fliegen. »Ich muss jetzt nach Hause und packen, Kate. In zwei Stunden geht’s los. Ich rufe Sie an, sobald ich kann.«
»Ich werde darauf warten.« Jetzt war keine Zeit mehr für irgendwelche Spielchen. Kate würde alles daran setzen, Joe noch einmal zu sehen. Ihr Bemühen, sich ihre Gefühle nicht anmerken zu lassen, gehörte der Vergangenheit an. Sie konnte und wollte ihr Interesse an ihm nicht länger v erbergen. Die Mädchen verabschiedeten sich unter Tränen voneinander. Eines nach dem anderen reiste ab. Sie fuhren in alle Himmelsrichtungen. Die Kommilitonin aus Hawaii würde eine Freundin nach Kalifornien begleiten. Ihre Eltern wollten n icht, dass sie nach Honolulu zurückkehrte. Schließlich bestand die Möglichkeit, dass die Japaner erneut angriffen. Tausende Männer waren in Pearl Harbor ums Leben gekommen oder verletzt worden, und auch unter der Zivilbevölkerung hatte es Opfer gegeben.
Die beiden Japanerinnen fuhren zum japanischen Konsulat in Boston. Sie hatten noch mehr Angst als die anderen, denn sie wussten nicht, was mit ihnen geschehen würde. Es gab für sie keine Möglichkeit, sich mit ihren Eltern in Verbindung zu setzen, und sie hatten keine Ahnung, ob es überhaupt einen Weg gab, nach Hause zu gelangen.
Kate traf am späten Nachm ittag zu Hause ein. Ihre Elte rn warteten bereits auf sie. Beide waren verzweifelt. Das Radio war permanent eingeschaltet, und alle
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