Danielle Steel
wussten, dass es nur eine Frage von Stunden oder wenigen Tagen war, bis die amerikanischen Truppen eingesetzt wurden.
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»Hast du etwas von Joe gehört?«, fragte Clarke, sobald Kate ihren Koffer in der Eingangshalle abgestellt hatte. Er hatte einen Fahrer geschickt, der ihr mit dem Gepäck geholfen hatte. Er selbst hatte bei Elizabeth bleiben wollen. Sie war blass und nervös.
Clarke war von der Haltung seiner Tochter beeindruckt. Sie schien überraschend ruhig zu sein und entgegnete: »Morgen fliegt er nach Washington. Er weiß aber noch nicht, wohin er geschickt wird.«
Clarke nickte, und Elizabeth warf ihrer Tochter einen bestürzten Blick zu, sagte aber nichts. Kate und Joe schienen also ständig in Kontak t zu sein, aber Elizabeth musste zugeben, dass die Umstände wirklich außergewöhnlich waren. Sie fragte sich unwillkürlich, wie nah sich die beiden bereits gekomme n waren.
An jenem Abend aßen die Jam isons in der Küche zu Abend. Das Radio lief, und niemand sagte ein Wort. Das Essen auf den Tellern wurde langsam kalt, und schließlich half Kate ihrer Mutter dabei, den Tisch abzuräumen. Die Reste der Mahlzeit warf sie in den Mülleimer.
Als Kate endlich in ihrem Bett lag, dachte s ie an Joe. Wo mochte er bloß in diesem Moment sein ? Ob sie sich wohl noch sehen würden, bevor er Amerika verließ?
Es war beinahe Mittag, als Joe sich am nächsten Tag m eldete. Er war soeben auf dem Bolling-Field-Flughafen in Washington D. C. gelandet. »Ich wollte Ihne n nur sagen, dass ich gut angekommen bin.«
Kate war sehr erleichtert, als sie seine Stimme hörte, doch sie war nicht sicher, aus welchem Grund er sie wirklich anrief. Allerdings ahnten beide, dass zwis chen ihnen mittlerweile m ehr war als Freundschaft, doch sie wollten nicht darüber sprechen. »Ich mache mich jetzt auf den Weg ins Kriegsministerium und melde mich später noch mal, Kate.«
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»Ich werde hier sein.«
Er wollte sie über jed en seiner Schritte informieren.
Vier Stunden später klingelte das Telefon erneut. Joe war den ganzen Nachmittag über instruiert worden, hatte Befehle und Vollmachten erhalten. Er war zum Captain der Luftstreitkräfte ernannt worden und würde die Royal Air Force bei ihren Kampfeinsätzen unterstützen. In zwei Tagen würde er sich v on New York aus auf den Weg nach England machen. Dort sollte er zunächst an einem Training teilnehm en.
An jenem Nachm ittag inf ormierte Präsiden t Roosevelt die Bevölkerung darüber, dass Amerika offiziell in den Krieg eingetreten war.
»Das war’s dann, Kate. In zwei Tagen muss ich los. Aber man schickt mich wenigstens an einen sicheren Ort.«
Sein Ziel w ar East Ang lia. Die Gegend kannte er bereits von früheren Besuchen bei der Royal Air Force. In zwei W ochen würde er bereits die ersten Kampfeinsätze f liegen. Kate dachte voller Entsetzen daran. Die Deutschen würden alles daransetzen, die Flugzeuge abzuschießen. Piloten mit Joes Reputation konnten für die Deutschen von großem Nutzen sein. Joe war in großer Gefahr, und dieses Wissen verursachte Kate Magenkrämpfe. Der Gedanke, dass ihm für unbestimm te Zeit jeden Augenblick etwas zustoßen konnte, schien ihr unerträglich. Sie konnte sich bereits jetzt kaum vorstellen, wie sie mit dieser Angst leben sollte. Sie würde nichts von ihm hören, denn es war ausgeschlossen, dass er die Möglichkeit bekam, sich bei ihr zu melden.
Doch noch blieben zwei Tage, an denen sie Zeit miteinander verbringen konnten. Sie würden die wenigen Stunden auskosten, darin waren sie sich einig. Innerhalb kurzer Zeit hatte sich alles zwischen ihnen geändert. Der Vorwand der Freundschaft war dabei, sich aufzulösen, und ihre Beziehung entwickelte sich in eine vollkommen andere Richtung.
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Es stellte sich heraus, dass Joe sich noch eine Uniform und einige Unterlagen beschaffen musste, sodass er Washington erst am nächsten Tag den Rücken kehren konnte. Um zehn Uhr morgens nahm er einen Flug von Washington nach Boston und landete dort gegen ein Uhr. Sein Flug nach New York ging um zehn Uhr am selben Abend. Kate und ihm blieben also genau neun Stunden. Im ganzen Land befanden sich junge Paare in einer ähnlichen Situation. Einige nutzten die wenige Zeit, die ihnen noch blieb, um zu heir aten, andere buchten ein Hotelzimmer, um die letzten Stunden ungestört miteinander verbringen zu können – so gut das unter den gegebenen Umständen möglich war. Wieder andere bevölkerten die Bahnhöfe und Cafes und trotz der kalten Witterung
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