Danielle Steel
bekommen …«
»Du kannst noch eins bekommen, wenn er erst wieder zu Hause ist.« Wenn er dann noch lebt, dachten alle drei insgeheim. Kate begann wieder zu weinen. Es wurde ein langer Tag für sie, und es dauerte noch zwei weitere Tage, bis sie sich halbwegs erholt hatte.
Diana und Beverly gingen am nächsten Tag wieder zum Unterricht. Kate musste das Bett hüten und war untröstlich. Am Mittwoch stand sie sch ließlich wieder auf. Sie s ah aus wie ein Gespenst und hatte fünf Kilo abgenommen. Seit Sonntag hatte sie nichts mehr gegessen, doch immerhin war die Blutung völlig zum Stillsta nd gekommen. Kate f ühlte sich er bärmlich. Unter ihren Augen hatten sich dunkle Ringe gebildet. Diana und Beverly waren sehr erleichtert, dass sie außer Gefahr war. Kate bedankte sich bei den beiden für alles, was sie getan hatten, und brach erneut in Tränen aus.
»So wird es noch eine Weile weitergehen«, warnte Diana. »Ich habe einen ganzen Monat lang geweint. Das sind die Hormone.« Doch in Kates Fall hatte es nicht nur etwas mit den Hormonen zu tun. Es ging um ihr Kind, da s Kind von Joe – sie hatte einen Teil von Joe verloren.
Im Wohnheim glaubten alle, da ss sie wegen des Sturzes vom Fahrrad im Bett geblieben war. Kate war das nur recht. Sie fühlte sich, als hätte sie einige Tage auf einem anderen Plan eten verbracht. Es war so un wirklich, alles schien sich verändert zu haben. Allein Joes Briefe konnten sie aufmuntern. Ihr war klar,
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dass sie ihm niem als von den Ereignissen, von ihrem gemeinsamen Verlust erzählen konnte, und sie brach erneut in verzweifeltes Schluchzen aus.
Das folgende Wochenende verbrachte Kate im Bett und le rnte. Als Andy sie am Sa mstagnachmittag besuchte, sah sie noch äußerst mitgenommen aus. Seit der Fehlgeburt war nun eine Woche vergangen, doch Kate war immer noch bleich wie ein Laken. Auf wackeligen Beinen m achte sie sich auf den Weg nach unten, um Andy zu treffen. Beverly und Diana hatten ihr in den letzten Tagen etwas zu essen aus der Cafeteria gebracht. Nun verließ Kate zum er sten Mal ihr Zimmer.
Andy erwartete sie im Wohnraum im Erdgeschoss. »Kate, du siehst ja aus wie ein Gespenst! Was ist denn passiert?« Er war ehrlich besorgt.
»Ich bin am Sonntagabend vom Fahrrad gefallen. Ich glaube, ich hatte eine Gehirnerschütterung.«
»Hast du das denn im Krankenhaus überprüfen lassen? « »Nein, es geht mir schon wieder gut.« Kate setzte sich neben Andy.
Doch er ließ sich nicht beruhigen. »Du sollte st besser zum Arzt gehen. Damit ist nicht zu spaßen!«
»Lass nur, es geht mir wirklich inzwischen besser.«
»Wenn ich dich am Montag gesehen hätte, wäre ich wahrscheinlich umgefallen vor Schreck.«
»Ja, wahrscheinlich«, entgegnete Kate. Sie war bereits wieder ein wenig besserer Stimmung. Das Treffen mit Andy holte sie ins Leben zurück, wie ihr sch ien. Als s ie auf ihr Zimmer zurückkehrte, war sie nicht mehr so deprimiert, aber sie fiel hundemüde ins Bett.
Diana hatte Kate bereits darauf vorbereitet, dass sie eine Zeit lang unter Anämie leiden würde, und ihr geraten, Leber zu essen.
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In der folgenden Woche wurde Kate langsam wi eder sie selbst, und sie fühlte sich bald gut genug, um wieder am Unterricht teilzunehmen. Niemand wusste, was ihr zugestoßen war, und während die Wochen verstrichen, ließ auch sie die Ereignisse hinter sich. Joe erfuhr nichts davon.
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ür den Rest des zweiten Studienjahres hatte Kate viel zu
tun. Ständig erhielt sie Briefe von Joe, aber er gab ihr kein Zeichen, wie er sich die Zukunft vorstellte. Im Frühling des Jahres 1943 ging Kate, wann immer sie konnte, ins Kino, um die Wochenschauen anzusehen. Sie hoffte, auf diese Weise gelegentlich einen Blick auf sein Gesicht erhaschen zu können. Die Royal Air Force bombardierte Berlin, Hamburg und andere deutsche Städte. Die Briten eroberten Tunis, und die Amerikaner vertrieben die Deu tschen aus Bizerte an der nordafrikanischen Mittelmeerküste. An der Ostfront standen sich Deutsche und Russen gegenüber, bis zu den Knien im Schlamm ve rsunken.
Kate besuchte ihre Eltern häuf ig an den Wochenenden, schrieb an Joe, und manchmal traf sie sich mit Andy zum Dinner oder zum Kino. Er hatte nun eine Fr eundin, mit der er viel Zeit verbrachte. Dadurch sah Kate ihn nicht sehr oft, aber das störte sie nicht weiter. Mit Diana und Beverly verband sie seit ihrer Fehlgeburt eine enge Freundschaft. Die Stunden, die sie mit den beiden Frauen verbrachte, waren zu einem
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