Danielle Steel
würde. Andy war ihr inzwischen ein so guter Freund geworden, dass sie es fast bedauerte, sich ihm nicht längst anvertraut zu haben. Aber sie brachte es einfach nicht über sich. Er wäre wahrscheinlich entsetzt. Manchmal fürchtete Kate, dass sie in seiner Achtung sinken würde, wenn er davon erführe. Doch auch diesen Preis würde sie bezahlen.
»Was hast du denn im Sommer vor, Kate? Gehst du wieder zum Roten Kreuz?«
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»Wahrscheinlich«, entgegnete sie unbestimmt.
Andy bemerkte gar nicht, dass Kate nicht bei der Sache war. Sie sah viel besser au s als im Februar, und er wollte sie überreden, mit ihm ins Kino zu gehen. Inzwischen hatte er sich damit abgefunden, dass sie nicht mehr als eine gute Freundin für ihn war. Daher benahm sie sich ihm gegenüber m ittlerweile völlig unbefangen. Doch an diesem Tag musste sie ihm leider absagen, denn sie hatte für den nächsten Tag noch eine schriftliche Arbeit zu erledigen.
»Du bist echt langweilig! Aber wenigstens siehst du besser aus. Letztes Mal, als wir uns getroffen haben, dachte ich, der leibhaftige Tod stünde vor mir.«
Die Übelkeit war tatsächlich abgeklungen. Kate hatte den dritten Monat schon fast hinter sich, und auch das erste Trimester neigte sich dem Ende zu. Mittlerweile freute sie sich sehr auf das Kind und hoffte auf einen kleinen Jungen, der genauso aussah wie sein Vater.
»Ich hatte die Grippe«, nahm sie den Faden auf.
Andy glaubte ihr aufs Wort. Er hatte keinerlei Grund, daran zu zweifeln. Er wäre nie auf den Gedanken gekommen, dass sie schwanger sein könnte. »Ich bin froh, dass du’s hinter dir hast. Mach dich an die Arbeit, dann geh en wir eben nächste Woche ins Kino.«
Mit diesen Worten schwang er sich auf sein Fahrrad und fuhr winkend davon.
Manchmal fragte Kate sich, ob sich die Dinge zwischen Andy und ihr wohl anders entwickelt hätten, wenn Joe nicht existiert hätte. Sie war Andy sehr zugetan, doch sie konnte sich nicht vorstellen, dass sie jemals ähnlich für ihn empfunden hätte wie für Joe. Andy war sehr fürsorglich und liebevoll, doch er weckte keinerlei Gefühle in ihr. Eines Tages würde Andy bestimmt einen guten Ehemann abgeben. Er war verantwortungsbewusst und verfügte über alle guten Eigenschaften, auf die eine Frau bei
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einem Mann W ert legte. Er war komplett anders als Joe, der stets ein wenig unbeholfen wirkte, der freiheitsliebend, talentiert und vollkommen besessen von seinen Flugzeugen war und keinerlei Wunsch verspürte, irgendwo heimisch zu werden. Kate hatte nicht damit gerechnet, sich ausgerechnet in einen Mann wie Joe Allbright zu verlieben, geschweige denn ein Kind von ihm zu bekommen, ohne dass sie nicht wenigstens verheiratet wäre. Doch in letzter Zeit hatte ihr Leben einige unerwartete Wendungen genommen. Das Kind, das sie unter ihrem Her zen trug, bestärkte sie nur in ihrer Liebe zu Joe.
An jenem Wochenende fühlte Kate sich ausgesprochen wohl. Sie war längst nicht mehr so müde wie in den vergangenen Wochen. Sie brachte ihre Arbeit zu Ende und erhielt drei Briefe auf einmal von Joe. Das geschah öfter und lag daran, dass sie zunächst die geheimnisvolle Maschinerie der Zensur durchlaufen mussten. So wurde sichergestellt, dass weder geheime Informationen noch Einsatzpläne darin erwähnt wurden. Doch Joes Briefe waren niemals zensiert worden. Er schrieb über die Menschen, die Landschaft und seine Gefühle zu Kate, also über völlig unverfängliche Dinge.
Kate hatte zunächst geplant, das Wochenende zu Hause zu verbringen, sich dann aber in letzter Minute doch noch anders entschieden. Sie ging mit einigen Freundinnen ins Kino. Dort traf sie Andy mit einem Mädchen, dass sie aus den Vorlesungen kannte. Die große Blondine aus dem Mittleren Westen hatte ein breites Lächeln und lange Beine und war erst vor kurzem von Wellesley nach Radcliffe gekommen. Kate grinste Andy an, als das Mädchen sich kurz abwandte, um eine Jacke überzuziehen, und er schnitt eine Grimasse. Nach dem Fil m fuhren Kate und ihre Freundinnen mit dem Fahrrad zurück zum Wohnhei m, denn auf diese Weise kam man auf dem Ca mpus und innerhalb der Stadt am schnellsten voran. Sie waren schon beinahe zu Hause, als plötzlich wie aus dem Nichts ein Junge auf einem Fahrrad heran geschossen kam, unter Sch reien und Johlen mitten durch
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die Gruppe sauste und Kate streifte, sodass sie vom Rad fiel und auf dem Bürgersteig landete. Sie verlor das Bewusstsein. Während die anderen von ihren Fahrrädern stiegen, kam
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