Danielle Steel
Abschied an sich zog. »Ich liebe dich, Joe.« Ein Schluchzen stieg in ihrer Kehle auf. Aber sie wollte es ihm nicht noch sc hwerer machen, als es ohnehin schon war. Daher biss sie sich auf die Lippe. »Ich liebe dich auch! Und wenn das nächste Mal etw as Wichtiges geschieht, erzählst du es m ir. Pass gut auf dich auf. Und grüß deine Eltern von mir, falls du ihnen überhaupt erzählst, dass wir uns getroffen haben.«
Kate dachte überhaupt nicht daran. Die beiden sollten niemals
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erfahren, dass sie mit Joe in ein Hotel gegangen war. Sie betete vielmehr, dass niemand sie beim Betreten oder Verlassen des Statler gesehen hatte.
Für einen langen Augenblick umarmten sie sich. Dann fuhr Joe davon. Kate blickte ihm nac h, während die Tränen über ihre Wangen strömten. In jenen Tagen war dies eine vertraute Szene. In jedem Dorf und jeder Stadt ve rmissten Frauen ihre Männer und liefen mit verweinten Gesichtern umher. Manche Soldaten kehrten verletzt und verkrüppelt aus dem Krieg heim und wurden ebenfalls unter Tränen empfangen. Kleine Fah nen flatterten in den Fenstern, zu Ehren der Soldaten, die im Krieg ihr Leben riskierten. Oft sah man Soldaten und junge Mädchen, die einander traurig Lebewohl sagten. Kleine Kinder standen an den Gräbern ihrer Väter. Kates und Joes Situation war also nichts Besonderes. Bisher hatten s ie lediglich mehr Glück als andere gehabt. Die Zeiten waren schwer, und viele Menschen erlebten Tragödien. Kate wusste nur eines mit Sicherheit: Sie konnte sich glücklich schätzen, dass sie Joe gefunden hatte. Für den Rest des Tages blieb sie auf ihrem Zimmer. Den Unterricht am Nachm ittag ließ sie ausfallen. Auch auf das Abendessen verzichtete sie für den Fall, dass Joe anrief. Um acht Uhr, unmittelbar nach der Sitzung, meldete er sich tatsächlich. Er war bereits auf dem Weg zum Flughafen, durfte ihr aber nicht sagen, wie die Verhandlungen verlaufen waren und wohin er nun fliegen würde. Diese Inform ationen waren streng geheim.
Kate wünschte ihm einen guten Flug und sagte ihm noc h einmal, wie sehr sie ihn liebe. Dann kehrte sie auf ihr Zimmer zurück, legte sich aufs Bett und dachte über alles nach. Es war schwer zu glauben, dass sie und Joe sich nun seit beinahe drei Jahren kannten und dass so viel geschehen war, seit sie sich in dem Ballsaal in New York begegne t waren. Damals war sie erst siebzehn gewesen, in vieler Hinsicht noch ein Kind. Nun war sie eine Frau – Joes Frau!
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Am Wochenende besuch te Kate ihre Eltern. Sie brauchte Ruhe und ein wenig Abstand von den anderen Mädchen im Wohnheim, um sich auf die Prüfungen vorzubereiten. Sie w ollte niemanden sehen. Seit Joe abgereist war, hatte sie sich zurückgezogen. Elizabeth bemerkte sofort, wie in sich gekehrt ihre Tochter wirkte. Sie fragte, ob alles in Ordnung sei und ob sie Neuigkeiten von Joe habe. Kate beteuerte, dass sie sich wohl fühle, doch weder Elizabeth noch Clarke glaubten ihr. Ihre Tochter erschien ihnen älter und reifer. Das College hatte diese Entwicklung sicherlich gefördert, doch ohne Zweifel war es die Beziehung zu Joe, die Kate von einem Augenblick zum nächsten in die W elt der Erwachsenen katapultiert hatte. Die ständige Sorge um ihn trug außerdem dazu bei, dass Kate ernster geworden war. In jenen Tagen wurden viele junge Menschen auf einen Schlag älter.
Abends unterhielten sich Elizabeth und Clarke leise in ihrem Schlafzimmer über ihre Tochter und kamen beide zu der Überzeugung, dass Kates Sorge um Joe völlig norm al war. »Schade, dass sie sich nicht in Andy verliebt hat«, sagte Elizabeth traurig. »Er hätte gut zu ihr gepasst, und er ist auch nicht eingezogen worden.«
Aber es war anders gekommen. Andy war in Kates Augen nicht mit Joe zu vergleichen. Joe hatte diese außergewöhnliche Ausstrahlung, die sie vom ersten Moment an angezogen hatte. In den folgenden vier Wochen arbeitete Kat e vi el für s Col lege. Die Prüfungen brachte sie mit Erfolg hinter sich, wenngleich sie nicht vollkommen bei der Sache war. Regelmäßig erhielt sie Briefe von Joe, und sie war gleichzeitig erleichtert und enttäuscht, als s ie drei Wochen nach seine r Ab reise f eststellte, dass sie nicht schwanger war.
Als Kate zu Thanksgiving zu ihren Eltern fuhr, sah sie schon wieder besser aus. Sie schien auch ein wenig ruhiger geworden zu sein. Beim Dinner unterhielten sie sich mit ihren Gästen über
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die Ereignisse in Europa. Kate wusste überraschend gut Bescheid und nahm kein Blatt vor den
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