Danielle Steel
Schicksal zu ersparen.
Am nächsten Tag ersch ien Kate pünktlich zum Frühstück. S ie
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wirkte wie versteinert, und alle Versuche ihrer Eltern, mit ihr ins Gespräch zu kommen, ignorierte sie beharrlich. Sie trank nur eine Tasse Tee und verschwand dann wie ein Gespenst wieder nach oben. Sie kehrte nicht ins College zurück, sondern blieb zu Hause und sperrte sich das gesamte Wochenende über in ihrem Zimmer ein. Glücklicherweise begannen in einer Woche die Weihnachtsferien, sodass sie nicht allzu viel versäumte. Doch am Sonntagabend zog Kate sich plötzlich an und brach nach Radcliffe auf. Sie verabs chiedete sich nicht einmal von ihren Eltern.
In Radcliffe wechselte sie mit niemandem ein Wort, und als Beverly sie begrüßte und fragte, ob sie krank sei, versch wieg Kate ihr, was passiert war. Sie brachte es nicht über sich, die Worte auszusprechen. Die folgenden Nächte weinte sie sich in den Schlaf.
Die Mädchen im W ohnheim in Radcliffe registrierten, dass mit ihr etwas nicht stimmte. Aber erst einige Tage später entdeckte jemand einen kurzen Zeitungsartikel, in dem über den Abschuss von Joes Flugzeug berichtet wurde. Der Geheimdienst hatte beschlossen, die Sache nicht an die große Glocke zu hängen, damit die Menschen nicht allzu sehr demoralisiert würden. Offiziell wurde Joe als vermisst geführt. Nun wussten die Mädchen im Wohnheim Be scheid. Sie hatten damals mitbekommen, dass Joe Allbright Kate besucht hatte.
»Es tut mir so Leid«, flüsterten manche, wenn Kate in der Halle vorüberging. Sie nickte dann nur kurz und ging eilig weiter. Sie s ah schrecklich aus, wurde immer schmaler, und als sie über die Weihnachtsferien n ach Hause fuhr, war sie vollkommen erschöpft.
Auch Elizabeth wusste nicht weiter. Kate ließ sich nicht trösten und blieb meist allein in ihrem Zi mmer. Sie wartete auf Nachrichten von Joe.
Sie bat ihren Vater, vor Weihnachten noch einmal mit seinem
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Bekannten in Washington Kontakt aufzunehmen, doch auch dort lagen keine neuen Informationen vor. Niemand hatte etwas über Joes Schicksal in Erfahrung bringen können. Von Seiten der Deutschen war nichts über seine Gefangennahme bekannt geworden. Joe war wie vom Erdboden verschluckt. Nirgendwo gab es einen Hinweis auf sein Schicksal.
Bei den Jamisons fand in diesem Jahr kein Weihnachtsfest statt. Kate machte sich nicht die Mühe, etwas für ihre Eltern zu besorgen, und äußerte ihrerseits keine Wünsche. Sie erhielt natürlich tro tzdem Geschenke, die s ie nur wider willig auspa ckte. Die meiste Zeit verbrachte sie in ihrem Zimmer. Sie kon nte nicht anders, sie musste ständig an Joe denken. Wo war er bloß? Was war ihm zugestoßen? Lebte er überhaupt noch? Und würde sie ihn jemals wieder sehen? Ununterbrochen trauerte sie der gemeinsamen Zeit nach und beweinte bitterlich den Verlust ihres gemeinsamen Kindes. Sie war untröstlich, schlief kaum noch und magerte immer mehr ab.
Kate durchstöberte jeden Tag die Zeitung auf der Suche nach Neuigkeiten über Joe. Clarke wies sie immer wieder darauf hin, dass man sie ohnehin anrufen würde, bevor irgendetwas an die Presse drang. Er selbst rechnete nicht mehr damit. Joe war vermutlich schon seit Wochen tot und lag irgendwo in Deutschland begraben. Kate wurde bei dem Gedanken daran beinahe verrückt. Ein Teil von ihr schien abgestorben zu sein. Sie lag entweder auf ihrem Bett und starrte die Wände an oder lief in ihrem Zimmer unruhig auf und ab. Es war, als müsste sie jeden Augenblick explodieren, doch es gab nichts, was sie tun konnte. Eines Abends betrank sie sich vor lauter Verzweiflung. Ihre Eltern verloren am nächsten Tag kein W ort darüber. Auch sie waren verzweifelt. Nie zuvor hatten sie Kate in eine m solchen Zustand erlebt. Nur die Zeit würde ihren Schmerz heilen können.
Nachdem Kate schließlich ins College zurückgekehrt war, fiel sie zum ersten Mal bei einer Prüfung durch. Di e
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Studienberaterin bestellte sie zu sich und wollte wissen, was m it ihr los sei. Kate sah erbärmlich aus, und mit erstickter Stimme berichtete sie, dass ein enger Freund von ihr während eines Einsatzes über Deutschland abgeschossen worden war. Das erklärte ih re schlechten Noten. Die Berate rin drückte Kate ihr Mitgefühl aus und versicherte ihr, dass sie sich gewiss bald wieder besser fühlen würde. Sie war sehr verständnisvoll, denn sie selbst hatte erst im Jahr zuvor ihren Sohn verloren. Doch niemand vermochte Kate zu trösten. Wenn sie nicht verzweifelt war,
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