... dann eben Irland (Das Kleeblatt)
sollte. Schließlich hatte sie auf Sean Garraí jeden Tag einige von dieser Sorte um sich. Und selbst Máirtín und Liam sahen nicht so übel aus, dass sie sie von der Bettkante schubsen würde. Trotzdem verschenkte sie keine Sekunde, ihre Augen erneut auf der Suche nach dem Aufsehen erregenden Fremden durch den nicht sehr großen Zuschauerraum schwirren zu lassen.
Sobald die Musik einsetzte, war ihr klar, dass sie weder eine schriftliche Erklärung noch weitreichende Kenntnisse des Irischen benötigte, um die Geschichte zu verstehen, die die Künstler mit Gesang und Tanz in Szene setzten.
Ihr Puls beschleunigte sich. Da war er wieder! Natürlich! Ihr e grauen Zellen schienen eine Auszeit genommen zu haben. Warum hatte sie nicht gleich diese Möglichkeit in Betracht gezogen? Einer wie er, strotzend vor Selbstbewusstsein und sich mit frappierender, männlicher Anmut bewegend, passte nirgends besser als vor ein großes Publikum.
Die Daumen lässig in die Ärmellöcher seiner Weste ge hakt, eine karierte Schiebermütze keck in den Nacken geschoben, schlenderte er auf die Bühne. Mit seinem strahlenden Lachen verzauberte er auf Anhieb sämtliche Zuschauer im Saal. Und diese Stimme! Mal kraftvoll, mal schmeichelnd, kroch sie Suse unter die Haut und setzte ihr Inneres in Flammen.
Als wüsste er genau, wo er suchen musste, blickte der Schönling zielgerichtet zu ihr und neigte den Kopf leicht zum Gruß.
Alberne Gans! schalt sich Suse peinlich berührt, als sie es ihm gleichtat, und spürte das Blut in ihr Gesicht schießen. War sie allen Ernstes so naiv sich einzubilden, er könnte sie meinen?
Und doch hätte sie geschworen, er würde allein sie anschauen – wenn sie mal davon ausging, dass er nicht schielte.
Sie zwang sich, ihre Aufmerksamkeit auf das Bühnenbild zu lenken, eine Schusterwerkstatt in einem mit Stroh gedeckten Cottage, und sah doch nichts anderes als die Muskeln auf seiner Brust und an seinen Beinen, die wie gemeißelt wirkten. In ihren Augen hätte er genauso gut nackt sein können. Der Hals schnürte sich ihr zu. Er schien allein für sie zu tanzen.
Aus den Augenwinkeln nahm sie neben sich eine leichte Bewegung wahr. Máirtín! Beobachtete er sie etwa? Angestrengt blickte sie geradeaus, bis ihr die Augen tränten, und konzentrierte sich auf das Geschehen auf der Bühne.
Er bewegte sich wie ein junger Gott, leichtfüßig und flink, elegant und mit überwältigender, körperlicher Stärke. Als er einen ríl zu tanzen begann, hielt das gesamte Theater den Atem an. Es gab nur noch ihn und das Klacken seiner Schuhe, seine Füße bewegten sich mühelos, immer schneller, bis schließlich auch die der Zuschauer zuckten.
Noch völlig gefangen von dem tosenden Beifall und den Rufen der Begeisterung, die nach einem furiosen Finale minutenlang das Theater erfüllt hatten, verließ Suse eine Stunde später mit Máirtín und Liam den Saal. Nach wie vor hatte sie das Gefühl, unter Strom zu stehen und war dermaßen erhitzt, als hätte sie selbst auf der Bühne gestanden und getanzt. Als sie an einem Spiegel vorüberging, bemerkte sie ein verdächtiges Glänzen in ihren Augen. Sie blinzelte heftig und spürte, dass es Tränen waren, die ihren Blick verschleierten.
Hinter ihr pfiff jemand anerkennend durch die Zähne. Sie drehte sich um. Er! Und er hatte tatsächlich sie gemeint! Die ganze Zeit über hatte er sie gemeint, sie gegrüßt und beobachtet, ihr zugelacht. Sie gab ihr Bestes, seinen Blick mit gespielter Gelassenheit zu ertragen, und atmete erleichtert auf, weil Máirtín neben ihr auftauchte, bei dem sie sich demonstrativ unterhakte. Sie traute sich momentan selbst nicht über den Weg.
Allerdings blieb es bei dem bloßen Vorsatz, gelassen zu bleiben, denn kaum hatte Máirtín den Tänzer entdeckt, winkte er ihm zu und zog Suse mit sich.
„Die lange Latte da – ja, genau der – das ist Gearóid, mein Bruder. Er ist Solist hier am Theater. Vielleicht ist er dir vorhin aufgefallen. Dia dhuit, a Ghearóid. Conas atá tú ?“
Die eben noch strahlende Miene von Gearóid verfinsterte sich urplötzlich, einen flüchtigen Moment höchstens, sodass sich Suse nicht sicher war, ob sie es wirklich gesehen hatte. Ohne Máirtíns Gruß zu erwidern, zerrte der Tänzer seinen Bruder am Arm zur Seite und blaffte ihn ohne jede Vorwarnung an.
Wie schnell sich doch mitunter das äußere Erscheinungsbild eines Menschen veränderte! Bei seinen ersten Worten starb Suses Schwärmerei für Gearóid einen so
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