Dann eben nicht, Jeeves
Dahlia, als sie sie hörte, aufschrie wie der Führer der Hundemeute, dem man bei der Jagd das beste seiner Tiere erschießt. Anatole drohte jetzt Gussie wieder mit den Fäusten, und sie unterstützte ihn dabei. Seppings, der respektvoll im Hintergrund schnaufte, schüttelte zwar nicht direkt die Fäuste, aber er warf Gussie einen sehr strafenden Blick zu. Dem aufmerksamen Beobachter konnte es nicht entgehen, daß dieser Fink-Nottle, als er vor das Dachfenster geklettert war, einen Fauxpas begangen hatte. Nicht einmal in der Familie von G. G. Simmons hätte er unbeliebter sein können.
»Verschwinden Sie, Sie dämlicher Klammeraffe!« schrie sie mit ihrer durchdringenden Stimme, die schon so manches Mitglied ihres Jagdclubs vor Schreck aus dem Sattel hat fallen lassen.
Gussie reagierte darauf mit einem Zucken der Augenbrauen. Ich begriff, was er damit sagen wollte.
»Ich glaube, er meint damit«, sagte ich – ganz der besonnene Bertram und bemüht, die Wogen zu glätten – »daß er abstürzt und sich das Genick bricht, wenn er das tut.«
»Na und?« sagte Tante Dahlia.
Ich konnte sie natürlich verstehen, aber mir schien, daß es noch eine einfachere Lösung gab. Zufällig war dieses Dachfenster das einzige Fenster im Haus, das Onkel Tom nicht mit Gittern hatte verrammeln lassen. Wahrscheinlich war er der Meinung, daß ein Einbrecher, der sich so hoch hinaufgewagt hatte, eine Belohnung verdiente.
»Wenn man das Dachfenster aufmachte, könnte er hereinklettern.«
Die Idee fand Anklang.
»Seppings, wie wird dieses Fenster geöffnet?«
»Mit einer Stange, Madam.«
»Dann holen Sie eine Stange. Holen Sie meinetwegen zwei. Oder zehn.«
Wenig später stand Gussie in unserer Mitte. Er schien sich seiner Lage peinlich bewußt.
Und ich muß sagen, daß Tante Dahlias Auftreten kaum dazu geeignet war, sein seelisches Gleichgewicht wiederherzustellen. Von dem Wohlwollen, das sie an den Tag gelegt hatte, als sie mit mir beim Obstsalat über die Aktivitäten dieses Unglücksvogels sprach, war nichts mehr zu merken, und so kann es einen nicht überraschen, daß die Worte im Fink-Nottleschen Hals mehr oder weniger steckenblieben. Es geschieht ja nicht oft, daß Tante Dahlia – sonst eine gute Haut und ein liebenswürdiges altes Möbel – ihrem Zorn mal freien Lauf läßt, aber wenn es passiert, dann flüchten selbst gestandene Männer auf hohe Bäume und ziehen sie hinter sich hoch.
»Nun?!« sagte sie.
Hierauf vermochte Gussie nur mit einer Art ersticktem Schluckauf zu antworten.
»Nun?«
Tante Dahlias Gesichtsfarbe wurde noch intensiver. Wenn man regelmäßig und über Jahre hinweg der Fuchsjagd gefrönt hat, dann verleiht diese Sportart dem Teint in der Regel eine kräftige Farbe, und nicht einmal ihre besten Freunde hätten bestreiten können, daß die Physiognomie der lieben Anverwandten schon zu normalen Zeiten erdbeerfarben leuchtete. Noch nie hatte ich sie aber so intensiv leuchten sehen wie jetzt. Sie sah aus wie eine nach vollkommener Selbstverwirklichung strebende Tomate.
»Nun?«
Gussie gab sich große Mühe, und einen Augenblick lang sah es so aus, als käme etwas. Aber dann wurde doch nicht mehr daraus als eine Art Todesröcheln.
»Ach, schaff ihn weg und mach ihm eine kalte Kompresse«, sagte Tante Dahlia, die es aufgab. Dann wandte sie sich der fast übermenschlich anmutenden Aufgabe zu, Anatole zu beruhigen, der jetzt leise und erregt vor sich hin murmelte.
Anscheinend fand er, daß sein gemischtes Bingo-und-Maloney-Englisch nicht ausreichte, um mit dieser Situation fertig zu werden, und deshalb bediente er sich seiner Muttersprache. Wörter wie »marmiton de Domange«, »pignouf«, »hurluberlu« und »roustisseur« kamen aus seinem Mund geflattert wie Fledermäuse aus einer Scheune. Ich verstand natürlich nur Bahnhof, denn obwohl ich mich während dieses Urlaubs in Cannes ein bißchen mit dem Französischen beschäftigt hatte, war ich doch kaum über das »Awehwuh«-Stadium hinausgekommen. Ich bedauerte das jetzt, denn diese Ausdrücke klangen gut.
Ich half Gussie die Treppe hinunter. Da ich einen kühleren Kopf besaß als Tante Dahlia, ahnte ich, daß es für seinen Aufenthalt auf dem Dach tiefere Ursachen und Beweggründe gab. Während sie in ihm nur den Trunkenbold sah, der sich einen dummen Scherz oder Bierulk erlaubt hatte, erkannte ich in ihm das gehetzte Wild.
»War Tuppy dir auf den Fersen?« fragte ich teilnahmsvoll.
Der kalte Angstschweiß trat ihm auf die Stirn.
»Um ein
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