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Dann fressen sie die Raben

Dann fressen sie die Raben

Titel: Dann fressen sie die Raben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Gurian
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mit diesem Händedruck auch jetzt wieder davor bewahren könnte, unter dem Eis zu verschwinden und zu sterben. Schenk ist hier , hat sie gesagt. Wenn ich doch nur wüsste, was sie damit gemeint hat.
    II
    Wenn einer den Satan zum Gesellen hat, ist das ein schlimmer Geselle.
((4:38))
    Er betrachtet das rosafarbene Handy in seiner Hand und bewegt es leicht hin und her, sodass der strassbesetzte Teddybär im spärlichen Licht aufblitzt. Nur der Zorn hält ihn noch am Leben. Jedes Mal, wenn er zufällig in den Spiegel sieht, schließt er die Augen, überwältigt von dem brennenden Schmerz in seiner Brust. Man hat sein Herz zur Hälfte herausgerissen und trotzdem schlägt es noch, blutet langsam aus. Nur der Tod würde das beenden, ein langsamer qualvoller grauenhafter Tod.
    Er presst sich die Hände so heftig vors Gesicht, dass die Nägel sich in seine Haut graben. Er denkt an ihn und an sein einsames Grab dort draußen auf dem Friedhof. Oh, wie hatte er nur so naiv sein können! Er hatte an ein besseres Leben geglaubt und trotz allem, was sie zusammen erlebt hatten, noch von Gerechtigkeit gefaselt.
    Immer wieder hört er seine flehende Stimme. »Tu das nicht, Rache ist nie eine Lösung, sieh nur, was sie unserer Familie angetan hat. Rache ist unmenschlich und grausam.«
    Er spuckt zornig auf den grauen Fliesenboden und denkt daran, dass er nun ganz auf sich gestellt ist. Auf die anderen kann er nicht zählen. Sie sind noch schwächer, als er es gewesen ist.
    Er schaltet das Handy ein, muss sich das Bild noch einmal ansehen, wie ein Cracksüchtiger, der weiß, dass ihn der nächste Schuss töten kann, und der doch nicht aufhört. Er beginnt zu zittern und schaltet dann ab und denkt darüber nach, ob er ihr Handy behalten soll, denn er darf kein Risiko mehr eingehen. Keine Fehler mehr. Menschen wie er dürfen nicht vertrauen.
    Diese Familie voller Heuchler muss endlich bezahlen. Sie wissen es noch nicht, aber ihre friedlichen Tage sind zu Ende. Er wird ihnen alles, auch das Liebste aus der Brust reißen.

6. Kapitel
    Als es draußen dunkel wird, schicken die Schwestern mich nach Hause. Nach Hause! Das wird die Wohnung von Mam und Oliver nie für mich sein, aber für den Moment ist es gar nicht so schlecht, denn so kann ich wieder Linas Zimmer durchsuchen. Das habe ich schon an den beiden Abenden zuvor gemacht, bisher ergebnislos. Aber ich kann es nicht lassen. Es muss doch irgendeinen Hinweis darauf geben, warum sie so derart verängstigt war.
    Es ist nicht weit vom Krankenhaus zur Mainzerstraße. Die Abendluft duftet zwar nicht so süß wie im Allgäu, aber immerhin riecht es hier auch schon nach Frühling und draußen ist es viel wärmer als in Linas Krankenzimmer. Ich ziehe meine Jeansjacke aus und laufe los. Ich bin so mit meinen Gedanken bei meiner Schwester, dass ich erst im Torbogen zum Hinterhaus merke, dass jemand hinter mir ist.
    Hoffnungsvoll drehe ich mich um. Mir ist nämlich gerade eingefallen, dass ich den Code für die Eingangstür vergessen habe. Vielleicht ist es ein Nachbar, der den Code kennt.
    Der Hof hinter mir ist leer.
    Ich schaue noch mal genauer hin, aber außer einer hässlichen weißen Katze, die um die drei großen, verschiedenfarbigen Müllcontainer streift, kann ich kein lebendiges Wesen entdecken.
    Ich gehe weiter zur Tür und versuche, mich zu erinnern. Den Code zur Wohnung weiß ich genau, 1297, aber wie lautet die Zahlenfolge für den Haupteingang?
    Dann denk nach, Ruby!
    »4731. Und ich hab geglaubt, du wärst der Einstein der Familie …« Alex streckt seinen Finger über meine Schulter hin zur Tastatur, gibt den Code ein und drückt auf das Schlüsselsymbol.
    Zusammen gehen wir nach oben.
    »Warst du eben schon mal im Hof?«, frage ich ihn.
    »Wie kommst du denn auf die Idee?« Er bleibt stehen und wartet, bis ich den oberen Code eingegeben habe. Dann betreten wir gemeinsam die dunkle Wohnung.
    Niemand ist zu Hause, natürlich nicht. Mam arbeitet noch und Oliver wollte gleich nach dem Ende seiner Schicht in seine Praxis für Menschen, die nicht krankenversichert sind, von der ich nicht mal weiß, wo sie eigentlich ist.
    Gerade als ich Alex fragen will, was er hier will, klingelt sein Handy und er verschwindet kommentarlos im großen Bad, dem von Oliver und Mam. Das ist zurzeit das einzige Bad, das man abschließen kann, das kleine Badezimmer, Linas Badezimmer, hat jetzt kein Schloss mehr und jedes Mal, wenn ich es benutzen muss, wird mir ein bisschen flau. Hier ist Lina auf dem weißen

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