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Dann fressen sie die Raben

Dann fressen sie die Raben

Titel: Dann fressen sie die Raben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Gurian
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einem Taschentuch meine Tränen ab.
    Dann stehe ich auf und schaue mich um. Wo bin ich hier überhaupt? Ich bin irgendwohin gerannt, einfach ins Nirgendwo. Vor mir taucht eine lange öde Reihe von brandneuen Straßenlaternen auf, deren orangefarbenes Licht auf den glänzenden Asphalt fällt. Die Straße scheint in einen Wald zu führen. Hinter mir ragen die Häuserblocks in die Höhe, von denen einige noch im Rohbau stecken.
    Ich suche verzweifelt nach dem blauen U-Bahn-Schild, drehe mich einmal um mich selbst, aber ich kann nichts dergleichen finden. Super. Ich habe mich verlaufen. Das kann ja wohl nicht wahr sein.
    Wenigstens ist es noch nicht mitten in der Nacht. Am besten gehe ich zurück zur Pizzeria und frage dort nach, wie ich zur U-Bahn komme.
    Ich laufe die Straße wieder zurück und meine, mich zu erinnern, dass ich von rechts gekommen bin.
    Aber als ich nach rechts biege, stehe ich vor einem riesigen Spielplatz, der in der trüben Dunkelheit aussieht wie das stümperhafte impressionistische Gemälde eines depressiven Malers. Das erinnert mich an meinen Verfolger auf dem Spielplatz in der Nähe von Olivers Wohnung, der Verfolger, der im strömenden Regen aussah wie der Junge auf dem Foto. Ich schüttele mich. Geister, Gespenster.
    Okay, dann gehe ich links, ich bin sicher, vorhin bin ich an keinem Spielplatz vorbeigekommen.
    Dazu muss ich zwischen zwei Häuserblocks durch, von denen nicht ein Fenster erleuchtet ist und die ab dem ersten Stock miteinander verbunden sind, sodass eine Art Tunnel entsteht. Wieso blinkt hier nicht ein einziges Licht? Es ist noch nicht mal halb acht. Wohnt hier denn keine Menschenseele?
    Das orangefarbene Licht der Laternen reicht nicht durch den kleinen Tunnel. Warum habe ich vorhin nicht besser aufgepasst? Ich bin manchmal einfach selten bescheuert. Ich hole mein Handy raus und klappe es auf, damit die Beleuchtung angeht. Prompt bilde ich mir ein, dass am Ende des Ganges ein Schatten weggehuscht ist. Mein Herz macht einen kleinen Sprung. Ich bleibe stehen. Wie so oft in den letzten Tagen fällt mir der passende Film dazu ein. Diesmal ist es der Streifen, in dem Jodie Foster eine Radiomoderatorin spielt, deren Verlobter vor ihren Augen von grausamen Schlägern in einem Tunnel ermordet wird. Quatsch, Ruby, solche Sachen passieren nicht in Deutschland und schon gar nicht in München! Das hier ist kein Tunnel im New Yorker Central Park, sondern ein Häuserdurchgang.
    Ich leuchte noch einmal mit dem schwachen Display ans Ende des Tunnels und natürlich ist da kein Mensch. Okay, jetzt beruhigst du dich und kommst zu dir.
    Ich gehe ein paar Schritte, aber nun habe ich das Gefühl, jemand wäre hinter mir, und mein Herz klopft auf einmal wie rasend. Ich traue mich kaum noch zu atmen, versuche, jedes Rascheln zu hören, jedes noch so leise Geräusch. Und ist da nicht wirklich etwas? Ein Schleifen? Alle Haare stellen sich mir auf, meine Beine werden weich und beginnen zu zittern.
    Ich atme ein paarmal heftig ein und aus und dann stürze ich einfach los. Mit jedem Schritt merke ich, wie ich sicherer werde, dass ich das Richtige tue. Selbst wenn da nichts war, ich fühle mich befreit und renne weiter, renne durch diesen Gang auf die Straße, dann laufe ich rechts, ohne groß zu überlegen, irgendwo verdammt noch mal muss die U-Bahn sein und Menschen, hier wohnen doch Menschen, das gibt’s doch gar nicht, dass hier niemand auf der Straße ist!
    Ich renne so lange, bis ich nicht mehr kann, und verbiete mir, nach hinten zu schauen, das fehlte noch, dass ich dabei einen Fehltritt mache und auf die Schnauze falle. Meine Brust wird eng, meine Beine brennen, aber ich laufe weiter und wie aus dem Nichts sehe ich endlich das blaue U-Bahn-Schild in die Nacht leuchten. Jetzt muss ich nur noch über ein riesiges Brachfeld, dann hab ich’s geschafft.
    Ich merke, dass meine Kräfte nachlassen, und weil ich sehe, dass vorne an der U-Bahn gerade Leute zur Rolltreppe gehen, beruhige ich mich, werde langsamer und versuche, wieder zu Atem zu kommen. Der Matsch auf diesem Feld ist dermaßen zäh, dass man so oder so langsamer laufen muss, weil er schmatzend an den Schuhen pappen bleibt.
    Ein Stoß in den Rücken, viel heftiger als der in der U-Bahn-Station. Und bevor ich kapiere, was passiert, falle ich nach vorne, mein Gesicht knallt in den Matsch, dabei zerbeiße ich meine Zunge.
    Höllischer Schmerz durchfährt meinen ganzen Körper, panisch versuche ich, Luft zu bekommen, schlage mit den Armen um mich,

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