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Dann fressen sie die Raben

Dann fressen sie die Raben

Titel: Dann fressen sie die Raben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Gurian
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mehr sinnvoll. Es stimmt, was seine Mutter immer gesagt hat. Allein essen ist wie allein sterben.
    Er bleibt stehen und betrachtet sich in einem der Schaufenster auf der Leopoldstraße. Was für ein Mann bist du, John? Auch nicht besser als die Schabe. Du kannst nicht so tun, als ginge dich das alles nichts an. Ganz egal, ob dein Herz in den blaugrünen Sambesiaugen der Gazelle ertrinkt oder an ihrem Misstrauen erfriert, du musst sie warnen. Sie glaubt anderen, weil sie selbst immer die Wahrheit sagt. Dabei gibt es doch auch in diesem Land die Redensart vom Wolf im Schafspelz.
    Amari hält sich für einen Wolf, obwohl er ein Schaf ist. Seine Schwester gibt sich dafür lammfromm, dabei lauert sie jetzt, wo er verletzt ist, sicher schon sprungbereit im Baum. Sie würde alles für Amari tun.
    Er wird nicht zweimal den gleichen Fehler machen und sie unterschätzen, denn er kann es sich nicht leisten, jemanden zu verlieren, der sein Herz berührt hat.
    Er dreht sich um und läuft zurück, wird schneller, fängt an zu rennen. Und diesmal ist es ihm egal, ob ihn jemand für einen Dieb hält.

25. Kapitel
    Mein geschundener Körper kann kaum mit meinem Vater Schritt halten. Er bestraft mich durch sein Schweigen, während wir zum Schwabinger Krankenhaus hasten.
    Nach Johns Verschwinden hat Alex tatsächlich eingewilligt, mit mir zu Oliver zu gehen und reinen Tisch zu machen. Vermutlich, weil ich ihm keine Wahl gelassen habe. Aber als wir in der Wohnung ankamen, wartete Pa mit schrecklichen Neuigkeiten auf mich, die er mir am Telefon nicht mehr sagen konnte, weil ich einfach aufgelegt habe.
    Mam hatte einen Kreislaufkollaps und wurde ins Krankenhaus zu Oliver gebracht. Weil niemand wusste, was mit mir los war, hat Pa angeboten, in der Wohnung auf mich zu warten. So wütend habe ich ihn noch nie gesehen.
    »Das hast du ihr angetan!«, brüllt er noch, während ich unter der Dusche stehe. Alles, was ich zu meiner Entschuldigung vorbringen wollte, wurde von Pa abgewürgt. Stattdessen wurde ich genötigt, zu duschen und frische Sachen anzuziehen, weil ich meiner Mutter so nicht unter die Augen treten könne, ohne einen Schock auszulösen.
    »Hat deine Mutter nicht genug durchgemacht? Was denn noch alles?«
    Alex hat sich gleich wieder verkrümelt, nachdem ihm klar geworden war, dass sich im Augenblick kein Mensch für seine Geständnisse interessieren würde. Aber ich habe ihm das Versprechen abgenommen, dass er heute Abend wiederkommt, um mit Oliver zu reden.
    Zuerst wollte ich nicht, dass er geht, weil ich Angst hatte, er könnte sich das mit dem Geständnis anders überlegen. Aber es blieb mir nichts anderes übrig, weil Pa der Auffassung war, es wäre das Mindeste an Schadensbegrenzung, Mam jetzt sofort zu besuchen, damit sie sich selbst davon überzeugen könne, dass mit mir alles okay sei.
    Seit wir unterwegs sind, schüttelt Pa immer wieder den Kopf wie eine kaputte Aufziehpuppe und murmelt so leise vor sich hin, dass ich nur einige Satzfetzen verstehen kann. »Ich bin so erschrocken! Undankbare Gören, Monster allesamt, man fragt sich …«
    Jeder zaghafte Versuch, seine Hand zu nehmen, irgendetwas zu erklären, wird unwirsch abgewürgt.
    Dabei gäbe es doch so viel, worüber ich mit ihm reden möchte. Immerhin ist das alles doch passiert, weil ich meinen Eltern beweisen wollte, dass Lina sich nicht umgebracht hat. Und dass sich keiner an ihrem Tod schuldig fühlen muss.
    Langsam fängt seine Besorgnis an, auch mich nervös zu machen. Selbst wenn ich in den letzten Jahren nur wenig Kontakt zu Mam hatte, war es immer gut zu wissen, dass sie da war. Niemals habe ich daran gedacht, dass sie sterben könnte. Plötzlich beschleicht mich eine schreckliche Ahnung. Pa ist nur deshalb so außer sich, weil er mir nicht die Wahrheit sagt. Was, wenn es sich nicht um einen Kreislaufkollaps, sondern um einen Herzinfarkt handelt?
    »Muss Mam sterben?«, frage ich in einer seiner Murmelpausen so laut, dass er mich nicht länger ignorieren kann.
    »Wir müssen alle sterben«, sagt er knapp, und weil solche Allgemeinplätze nicht seine Art sind, fange ich jetzt voller Angst an, schneller zu laufen als er.
    Wir schaffen es in Rekordzeit zum Krankenhaus und fahren mit dem Aufzug nach oben, denn Mam liegt natürlich auf Olivers Station.
    Im dritten Stock stehen zwei Schwesternschülerinnen und ein leeres Krankenbett mit einem Desinfectet -Plastiküberzug vor dem Aufzug.
    »Passen wir noch rein? Mit dem Lastenaufzug gibt’s gerade ein

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