Dann gute Nacht Marie
einer Stunde scheinbar erfolglosen Suchens partout nicht helfen lassen wollte. Und als sie schließlich nach über zwei Stunden intensiven Studiums der unterschiedlichsten Kriminalfälle den Laden mit einem simplen: »Auf Wiedersehen« verließ, ohne auch nur das Geringste gekauft zu haben, machte die Verkäuferin sich keine Mühe mehr, ihre an tiefe Abneigung grenzende Enttäuschung zu verbergen. Auf
kaufkräftige Kunden konnten man sich eben auch nicht mehr verlassen. SCHLIESSEN.
Zum Glück hatte Marie nicht vor, ihre Recherche in Sachen Kriminalroman in diesem Laden fortzusetzen oder in ihrer inzwischen sehr absehbaren Zukunft dort noch Bücher zu erwerben. Nicht in diesem Leben, wie man so schön sagt. Mit der Hilfe dieser Verkäuferin hätte sie in keinem Fall mehr rechnen können. Zumindest aber wusste sie nun schon einmal, was sie nicht wollte. Keine Sadomaso-Szene, keine Schutzgelderpressung, keinen Hochadel. SPEICHERN. Als es kurz darauf direkt hinter ihr einen lauten Knall tat, glaubte Marie im ersten Moment, die enttäuschte Verkäuferin hätte ihrem Ärger über die nicht mehr kaufinteressierte Kundin gewaltsam Luft gemacht. Doch dann sah sie neben sich einen großen zerschellten Blumentopf liegen, dessen Scherben und Inhalt fast die gesamte Breite des Bürgersteigs einnahm. IN DER AKTUELLEN ANWENDUNG IST EIN FEHLER AUFGETRETEN. DIE ANWENDUNG WIRD GESCHLOSSEN. Marie presste sich in Erwartung weiterer vom Balkon über ihr herabfallender Gegenstände instinktiv nah an die Hauswand. Jetzt, da sie gerade erst mit ihrer »schriftstellerischen Tätigkeit« begonnen hatte und auf die äußerst hilfreiche Idee mit dem Seminar gekommen war, war wirklich noch nicht der richtige Zeitpunkt zu sterben. Außerdem hatte sie gerade erst Urlaub bekommen, den sie sinnvoll zu nutzen und nicht im Kranken- oder gar Leichenschauhaus zu verbringen gedachte. Nachdem in den folgenden Minuten keine weiteren Lawinen niedergegangen waren, setzte Marie ihren Weg fort, nicht ohne immer wieder einen Blick nach oben zu werfen, damit nicht doch noch ein tödliches Geschoss sie auf den letzten Metern treffen konnte.
Zu Hause angekommen, hatte sie erst einmal wieder genug von Verbrechern, Polizisten und Todesfällen aller Art. Sie kochte sich ein Pilzrisotto mit Kräutern und gab auch Kasimir sein Abendessen und frisches Wasser.
Als beide satt und zufrieden auf dem Sofa lagen - der Kater hatte sich auf ihrem Bauch zusammengerollt und schnurrte zufrieden -, beschloss Marie, den Abend ausnahmsweise etwas ruhiger angehen zu lassen. Nach dem morgendlichen Antrag auf über zwei Wochen kurzfristigen Urlaub, der akribischen Ordnung des zu hinterlassenden Büros und der abendlichen Krimirecherche war sie nun doch nicht mehr motiviert, die Reihe der Aktivitäten mit einem weiteren Kapitel der Lebenszensur abzurunden. Zumal beim jetzigen Stand der Dinge nicht mehr so viele auszuwertende Bereiche übrig blieben. Das waren in jedem Fall genügend gute Gründe für einen entspannten Abend vor dem Fernseher, fand Marie. SPEICHERN.
Der Tagestipp der Programmzeitschrift war ein äußerst gut bewerteter Krimi. Wie passend. Die Aussicht, bei einem gemütlichen Fernsehabend eventuell auf höchst angenehme Weise mit ihrer Recherche für Herrn Maibach weiterzukommen, gefiel Marie sehr gut. Der Krimi stellte sich tatsächlich als ganz gute Wahl in Sachen Abendunterhaltung heraus, als Inspiration dagegen war er wohl eher ungeeignet.
Angesiedelt in Mafiakreisen, die bekanntermaßen seit jeher nicht mit Gift, sondern Schusswaffen und Bomben aller Art operierten, bot er keinerlei Ansatzpunkte für Recherchen auf einem wie auch immer gearteten pharmazeutischen Gebiet. Schade. VERWERFEN. Trotzdem musste Marie den einmal begonnenen Kriminalfall bis
zu seiner lückenlosen Aufklärung nach den üblichen neunzig Fernsehminuten verfolgen. Und die Tatsache, dass sie den Täter schon nach der Hälfte der Zeit mit ziemlicher Sicherheit im Verdacht gehabt hatte, bestätigte sie in der Annahme, als Krimi-Schriftstellerin vielleicht doch nicht so ungeeignet zu sein. Lutz Maibach hatte sie jedenfalls so gut wie in der Tasche. So war der Abend zwar bezüglich der Themenfindung erfolglos, als Quelle der Entspannung und Selbstbestätigung aber durchaus ergiebig gewesen.
Zufrieden ging Marie in die Küche, um ihr Weinglas abzuspülen. Kasimir trottete ihr verschlafen hinterher in der Hoffnung, zu später Stunde noch irgendeinen Leckerbissen abzustauben.
»Du Armer, du kommst
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