Dann gute Nacht Marie
Leibarzt sein Leben nicht durch beherztes Eingreifen hatte retten können, lag vermutlich daran, dass der Dozent sein Medizinstudium an diesem Abend recht kurzfristig absolviert hatte. Er hatte natürlich die richtige Lösung getippt, was Maries Sympathie für ihn noch einmal steigerte. Bei aller Umständlichkeit der Ausdrucksweise schien er ein Musterbeispiel an Souveränität und Gelassenheit zu sein.
»Wäre nicht vielleicht ein ähnlich vorausberechneter anaphylaktischer Schock auch etwas Geeignetes für Ihren Krimi? Wenn Sie ein Opfer mit Lebensmittelunverträglichkeit hätten, bräuchte Ihr Mörder keinen komplizierten Giftstoff zu organisieren, und die Spuren zum Täter ließen sich äußerst gut verwischen«, meinte Maibach beim Hinausgehen zu Marie, und sie hätte ihm diesen Zahn am liebsten sofort mit dem Hinweis auf ihr bisheriges komplett allergieloses Leben gezogen. Gerade noch rechtzeitig fiel ihr auf, dass das eventuell keine so gute Idee war.
Schließlich konnte und durfte er nicht wissen, dass das gesuchte Gift eigentlich für sie gedacht war. Also murmelte sie etwas möglichst Unverständliches mit »zu leicht nachweisbar« und »nicht zur Geschichte passend« und hoffte, dass sich der Dozent damit zufriedengab. WEITER.
Das hätte er - interessiert wie er war - vermutlich nicht, doch Maibach war gedanklich schon einen Schritt weiter. Als sie auf dem Parkplatz vor dem Restaurant angekommen waren und Marie sich bereits die Verabschiedung zurechtgelegt hatte, blieb er plötzlich stehen und drehte sich zu ihr um.
»Würden Sie am Samstagabend mit mir essen gehen?«
Einfache Frage, einfache Antwort? Nicht bei Marie. Eine private Verabredung mit dem Dozenten so ganz ohne Vorwand? Das war zu viel für eine unnahbare Jungfrau, sodass sie nicht wusste, was sie sagen sollte. Bevor Maibach ganz an Maries Verstand zweifeln konnte, schaffte sie jedoch noch einen vollständigen Satz: »Ich weiß nicht so recht.« Na gut, nicht gerade sehr aussagekräftig, aber immerhin ein Anfang.
Offensichtlich war Maibach auf diesem Gebiet nicht sehr anspruchsvoll oder zumindest einiges gewöhnt. Von seinem Gegenüber schien er keine hoch komplizierten Aussagen zu erwarten, denn er meinte sofort: »Geben Sie Ihrem Herzen einen Stoß, und sagen Sie Ja!«
Das war nun wieder ein Wunsch, der Marie kommunikationstechnisch keineswegs überforderte. Also schob sie ihre Bedenken erst einmal beiseite und antwortete, fast schon wortreich: »Also gut.« DIESER ARBEITSSCHRITT LÄSST SICH NICHT RÜCKGÄNGIG MACHEN.
Maibach strahlte und machte sogleich sämtliche Hoffnungen auf einen doch noch möglichen unauffälligen
Rückzug zunichte. »Wunderbar! Dann können Sie mir endlich Ihren Krimi etwas näherbringen, damit wir mit der Arbeit beginnen können! Heute konnte man ja vor lauter mörderischen Vorkommnissen kaum einen vernünftigen Satz wechseln. Und bei jeder winzigen Lücke im Ablaufplan schaltete sich dieser äußerst ominöse Notar sofort ein.« Den kleinen Seitenhieb konnte er sich wohl nicht verkneifen. Gut so. »Ich hole Sie am Samstag um acht ab. Ihre Adresse ist ja auf Ihrer Anmeldung vermerkt. Ich werde ein hübsches kleines Restaurant aussuchen, damit Sie bei der Offenbarung Ihrer Autorengeheimnisse keinerlei unerwünschte Zuhörer befürchten müssen.«
Mitgegangen, mitgefangen. Marie blieb nur noch ein zurückhaltendes »Ich freue mich, vielen Dank« und der schnellstmögliche Rückzug in ihr zumindest für heute Abend sicheres Zuhause.
Auf dem gesamten Heimweg wusste Marie nicht, ob sie sich über Maibachs starkes Interesse freuen oder ärgern sollte. Einerseits war es seit Langem das erste Mal und durchaus nicht unangenehm, von einem mehr oder weniger Fremden so viel Anteilnahme entgegengebracht zu bekommen. Andererseits stand nun einwandfrei fest, dass bis spätestens Samstagabend ein zumindest notdürftiges Konzept für den anvisierten Kriminalroman der Autorin Marie Hartmann gefunden werden musste. SPEICHERN. Samstagabend. Donnerstag, Freitag, Samstag. Noch etwas über zwei Tage. SPEICHERN. Nachdem sie es in knapp drei Wochen nicht mal annähernd geschafft hatte, ihr eigenes Ende angemessen zu planen, war der Zeitrahmen vermutlich auch für das gut konzipierte
Sterben eines potenziellen Mordopfers etwas knapp kalkuliert. SPEICHERN. Nichtsdestotrotz vertagte Marie noch auf dem Heimweg die Problemlösung wieder einmal auf den kommenden Tag. Schließlich war der heutige so gut wie vorbei.
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DOKUMENT16. Am
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