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"Dann iss halt was!": Meine Magersucht – wie ich gekämpft habe – wie ich überlebe (German Edition)

"Dann iss halt was!": Meine Magersucht – wie ich gekämpft habe – wie ich überlebe (German Edition)

Titel: "Dann iss halt was!": Meine Magersucht – wie ich gekämpft habe – wie ich überlebe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Frommert , Jens Clasen
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Ambiente, in dem ich meine erste Freundin kennenlernen sollte. Meine bis heute einzige aus Fleisch und Blut.
    Am Tag nach unserm Kennenlernen gingen wir zum gemeinsamen Skifahren. Dabei ließ ich keine Gelegenheit aus, den gutgelaunten, pausbackigen Clown zu spielen, den Animateur, der hinter all diesen Worthülsen und Luftblasen seine Unsicherheit, ja seine Panik, seine Sehnsucht und seine Zuneigung verstecken wollte. Wie es drinnen aussieht …Wen interessierte das schon? Gabi offenbar. Wir gönnten uns eine Pause vom gemeinsamen Abfahren. Geradezu kindisch verpulverten wir unsere Energie in einer kleinen Schneeballschlacht, bei der sie hinter einer kleinen vom Pistenbully aufgeschobenen Schneemauer Schutz suchte. Ich warf also die Bälle in hohen Bögen, und irgendwann kamen keine mehr zurück. Dieses Biest, dachte ich, echt ausgekocht. Langsam schlich ich mich an, um der einseitig schweigend ausgerufenen Feuerpause auf den Grund zu gehen. Und ich stellte fest, dass Gabriele auf nahezu Copperfield’sche Weise verschwunden war. Erst auf den zweiten Blick sah ich sie mehrere Meter weiter unten auf der Piste liegen. Abgerutscht. Ihr Lachen verriet: Ihr ging es gut. Uns ging es gut. Die Sonne schien auf uns herab.
    So wurden aus einem Gespräch und einer Schneeballschlacht viele Gespräche. Wir verstanden uns gut und verbrachten viel Zeit zusammen. Völlig platonisch natürlich. Wir saßen gemeinsam auf Treppen, in Sesselliften, in Cocktail-Bars, in der Pizzeria, und irgendwie im selben Boot. So weit lief alles wie immer bei der Aufführung des bekannten Stücks »Der dicke Christian und die Mädchen«. Und die Ähnlichkeiten zu früheren Aufführungen wurden mit einem Schlag geradezu frappierend. Gabi erzählte mir, dass sie meinen Freund Ole kenne. Den hatte sie im vorigen Dezember ebendort, bei ihrem ersten Urlaub mit Mutter und Geliebtem getroffen. Sie saßen nicht auf Treppen. Da war nichts platonisch. Es war Ole-typisch. Sie hatten etwas miteinander gehabt. Na bitte, noch Fragen? Da war es wieder – das Muster.
    Plaudern mit dem netten Dicken – zur Sache gehen mit seinen Kumpels. Das schmerzte – aber irgendwie war ich es auch schon gewöhnt, und so ließ ich mir nichts anmerken.
    Natürlich erzählte ich Ole vom Skiurlaub, und auch von Schneebällen mit Gabi. »Gabi? Gabi? Die Gabi?! Ja da war was«, erinnerte er sich dunkel. »Soll ich dir zeigen, wo sie wohnt?«, fragte er. Für ihn war »diese Gabi« nicht mehr als eine Kerbe in seinem Staffelholz, das er mir hiermit überreichte.
    G.A.B.I. Für mich waren diese vier Buchstaben eine neue Welt. Herzklopfen, weiche Knie, die Aussicht, gemocht, in den Arm genommen zu werden, aus Leidenschaft, nicht aus Mitleid. Und gerade deshalb zierte ich mich. Ich war mir peinlich. Ich hatte Scham. Sie wiedersehen? Oh je. Während ich noch mit diesen Gedanken beschäftigt war, machte Ole schon seine Yamaha startklar. »Die ist doch nett, die Gabi, wir fahren da jetzt hin, los!« Und so fuhren wir die 40 Kilometer bis zu Gabis Heimatstadt Brühl bei Heidelberg.
    Als wir bei Gabi aufschlugen, war niemand zu Hause. Zumindest machte niemand die Tür auf. Ole hatte es nie nötig, auf Mädchen zu warten. Und auch keine Lust. »Die ist nicht da, vergiss es, wir fahren wieder!« Seine Ungeduld war mir Befehl und irgendwie auch eine Erleichterung. Aber einfach so verschwinden, ohne eine Spur meines Erscheinens vor die Tür gelegt zu haben, wollte ich dann doch nicht. Ich schrieb eine Nachricht auf ein Papiertaschentuch. Gabi machte Tempo und rief noch am gleichen Abend an.
    Dass sie hinter der verschlossenen Tür gestanden, jedes gesprochene Wort mitbekommen und uns gesehen hatte, als sie durch das Guckloch spionierte, erzählte sie mir am Telefon.
    Sie sagte, sie habe nicht aufmachen wollen, weil doch Ole dabei war. Sie sagte: »Wärst du allein gewesen, hätte ich dich hereingelassen.« Natürlich. Die Dinge nahmen eine dramatische Wendung. Nichts war in dem Theaterstück mehr so wie immer. Irgendjemand hatte das Drehbuch umgeschrieben. Sie oder ich?
    Wir wurden ein Paar. Keiner von uns beiden kann den Zeitpunkt genau benennen. Oft haben wir uns gefragt, von welchem Moment an wir denn eigentlich »zusammen« waren. Jeder hatte eine andere These, eine unterschiedliche Erinnerung. Der Prozess verlief schleichend über Monate, in stillen Momenten und langen Gesprächen, in denen meist ich redete und sie schwieg. Es gab keine nächtlichen Liebesschwüre und keine sexuellen

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