Dann klappt's auch mit dem Doktor
kümmern, aber die Diensteinteilung hat sich geändert.«
»Ja, das weià ich bereits. Wir konnten das leider nicht abwenden. Sie wissen ja, die ewige Mangelwirtschaft, die entsteht, wenn Manager denken, Sie wüssten, wie man eine Klinik leitet. Ich kümmere mich um die Jugendlichen. Versorgen Sie in Ruhe Ihre Station. Wir haben heute für siebzehn Uhr eine Ambulanzbesprechung anberaumt. Wäre schön, wenn Sie einigermaÃen pünktlich dazukommen könnten.«
»Ich werde es versuchen.«
Die Visite von insgesamt neunundvierzig Kleinkindern inklusive der dazugehörigen Kuscheltiere dauert bis zum frühen Nachmittag. Es braucht eben seine Zeit, Hund, den Hund, Bär, den Teddybär, Teddy, ebenfalls Teddybär, Hasi, den Hasen, diverse Püppies und Hans, einen Plüsch-Kermit abzuhorchen und in deren imaginäre Gehörgänge zu schauen. Da dies mein erster Tag auf diesen Stationen ist und ich noch keinen Patienten kenne, bin ich auf die Hilfe der zu meinem Glück äuÃerst kompetenten Oberschwester angewiesen.
Das bringt mich allerdings gleich im einzigen Moment, in dem sie mich verlässt, in eine unangenehme Situation. Als Nächstes ist ein Acht-Patienten-Zimmer dran. Die gibt es tatsächlich noch. Für die Kinder selbst ist das in der Regel ganz schön. Die meisten verstehen sich gut, und es kommt trotz Krankheit eine Art Ferienlager-Stimmung auf. Für den Arzt sind diese Zimmer am ersten Visitentag eine gemeine Falle. Oberschwester Marie erklärt mir, bevor wir den Raum betreten, kurz, welche Erkrankung welcher Patient hat und was mit ihm geplant ist. Das kann ich mir nicht alles auf einmal merken. Okay, die meisten müssen Bettruhe einhalten, weil sie eine Untersuchung des Gehirnwassers hatten. So schreiten wir von Bett zu Bett, und mit Hilfe meiner Souffleuse Marie, die mir alles Nötige leise ins Ohr flüstert, verläuft die Visite ganz gut. Bis Marie ans Telefon muss. Da stehe ich nun vor einem neuen Patientenbett, und die Mutter des Patienten lächelt mich erwartungsvoll an. Ich lächle ahnungslos zurück. Wer zum Teufel ist das, und wo bleibt Marie?
»Wie lange müssen wir denn noch Bettruhe halten?«, fragt die Mutter. Ha! Ein Geistesblitz durchfährt mich! Das muss der neue Patient sein. Einer seiner Gesichtsnerven ist seit ein paar Tagen gelähmt. Das passiert bei Kindern manchmal einfach so und geht meist auch wieder weg. Man muss aber durch eine Untersuchung des Hirnwassers eine Infektion ausschlieÃen. Komisch! Sein Gesicht sieht ganz normal aus. Na ja, er bewegt es ja auch gerade nicht so doll. Vielleicht hat er nur eine ganz dezente Gesichtsnervenlähmung.
Die Frage der Mutter kann ich locker auch ohne Marie beantworten: »Ja wissen Sie, nach einer solchen Punktion zur Hirnwasseruntersuchung ist es sehr wichtig, die Bettruhe einzuhalten, damit Ihr Kind keine Kopfschmerzen bekommt.« Was das angeht, sind wir sehr streng.
»Ihr Sohn sollte mindestens vierundzwanzig Stunden konsequent liegen bleiben und dann â¦Â« Das Lächeln der Mutter verschwindet, und sie schaut mich jetzt eher entsetzt an: »Was für eine Punktion? Wir sind doch wegen der Flecken an den Beinen hier.« Oha! Ich schreite zum ÃuÃersten und sehe mir den Patienten mal genauer an, indem ich die Bettdecke zurückschlage. Da sind sie. Eindeutig. Rote eingeblutete Flecken an den Beinen. Eine Immunreaktion des Körpers gegen sich selbst. Sie trägt den schönen Namen Purpura Schönlein-Hennoch und ist derzeit am besten mit Bettruhe zu behandeln. Kein Problem! Auch das kann ich locker beantworten:
»Also, bei der Erkrankung Ihres Sohnes ist es ganz wichtig Bettruhe einzuhalten, damit keine weiteren Einblutungen entstehen.«
»Haben Sie überhaupt eine Ahnung von dem, was Sie hier tun?«
Jetzt ist die Mutter sauer. Zu Recht.
»Machen Sie sich keine Sorgen, ich weià genau, wovon ich spreche, die Purpura â¦Â«
»Das meine ich nicht. Wissen Sie überhaupt, wer mein Sohn ist?«
Jetzt hat sie mich erwischt. Das weià ich natürlich nicht. Wie auch, ohne meine Souffleuse Marie? Die eilt mir zum Glück gerade wieder zu Hilfe.
»Frau Meier. Machen Sie sich keine Sorgen. Frau Dr. Plüm ist eine unserer Besten. Wir dürfen die Patientenakten aus Datenschutzgründen nicht mit in die Mehrbettzimmer nehmen. Es wäre meine Aufgabe gewesen, Frau Dr. Plüm über die Patienten
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