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Dann klappt's auch mit dem Doktor

Dann klappt's auch mit dem Doktor

Titel: Dann klappt's auch mit dem Doktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caroline Lenz
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Hände krallen sich an dem Vortragspult fest. Ich brauche Halt. Am liebsten würde ich mich hinter dem Pult verstecken …
    Doch dann öffnet sich mein Mund, und wie von Zauberhand kommen klare Worte heraus. Dazwischen höre ich mich mühsam atmen. Laut wie ein Orkan. Folie wechselt zu Folie. Gebannte Gesichter sehen auf die Leinwand. Die Videos laufen. Am Ende dann: tosender Applaus.
    Erstaunt stelle ich fest, dass ich gar nicht ohnmächtig geworden bin. Die Diskussionsrunde folgt. Souverän beantwortet mein Körper jede Frage. Die Antworten scheinen direkt aus meinem Stammhirn zu kommen. Der Rest meines Gehirns ist ausgefallen. Wieder tosender Applaus. Glückwünsche! Man schreitet zu Kaffee und Gebäck. Es folgt der übliche Small Talk.
    Â»Schöner Vortrag, Frau Plüm!«, lobt mich Denner.
    Mit seinem Wohlwollen habe ich nun gar nicht gerechnet. Allmählich komme ich wieder in die Wirklichkeit zurück. Ich habe es tatsächlich geschafft! Unglaublich! Vera, die ich bis jetzt vermisst habe, saß in der letzten Reihe, um zu prüfen, ob ich auch laut genug spreche: »Du warst klasse! Ich habe jedes einzelne Wort verstanden. Super Vortrag!«
    Langsam breitet sich ein Hochgefühl in mir aus. Mein Körper schüttet alle verfügbaren Glückshormone aus. Ja, ich hab’s geschafft! Und wie! Professor Astrup eilt freudestrahlend, einen indisch aussehenden Herrn mittleren Alters im Schlepptau, auf mich zu: »Frau Dr. Plüm, darf ich Ihnen Dr. Chatrani von der Harvard Medical School vorstellen?«
    Mir? Klar. Ich habe gerade den Vortrag meines Lebens gehalten. Heute gehört die Welt mir! Sonst stellt er uns nie eine seiner wichtigen Bekanntschaften vor.
    Â»Dr. Chatrani ist von Ihrem Vortrag und der Arbeit unserer Adipositas-Ambulanz so begeistert, dass er Ihnen ein Stipendium für das Harvard Science Training anbieten möchte, das jeden Winter zwei Wochen lang in Boston stattfindet. Das wäre für Ihre Arbeit bei Moby Fit sehr wertvoll. Dr. Denner hat an diesem Kurs auch schon mal teilgenommen und sehr davon profitiert«, erklärt mir Professor Astrup.
    Das ist echt der Kracher! Zwei Wochen, um zu lernen, wie man effektiv klinisch forscht, sensationelle Veröffentlichungen verfasst und diese ideal platziert. Das Training hat einen phantastischen Ruf, und die Teilnehmerplätze sind ebenso rar wie heiß begehrt. Ich bin sprachlos und stammele mühsam ein »thank you very much, Sir« hervor.
    Natürlich nehme ich das Angebot an. Innerhalb der nächsten vier Wochen muss ich nur einen schriftlichen Entwurf für einen Vortrag, den jeder der Teilnehmer zu Beginn halten muss, einreichen, und ich bin dabei. Vorträge halten, das mache ich doch ab jetzt mit links. Professor Astrup zwinkert mir zu und verschwindet mit seinem Gast. Hatte er das alles geplant? Sollte ich deshalb Dr. Klemmes Vortrag halten? Wollte mein Chef mir tatsächlich etwas Gutes tun? Wie auf einer Wolke schwebe ich in den Tag und Richtung Dienstplan, der in der Notaufnahme hängt. Heute kann mir keiner was!
    Dr. Klemme lehnt mit verschränkten Armen an einer Wand und beobachtet mich mürrisch. Er möchte schon seit Jahren zum Science Training. Neidisch? Pech gehabt!
    Die Diensteinteilung wurde laut Plan mal wieder spontan geändert. Wegen des Personalmangels … Warum auch sonst? Genau deshalb empfiehlt es sich, jeden Tag noch mal nachzuschauen, wofür man aktuell eingeteilt ist. Eigentlich sollte ich mich heute wieder auf der Jugendstation um unsere übergewichtigen Patienten kümmern. Stattdessen bin ich für zwei Kleinkindstationen zuständig. Zwei Stationen à zweiundzwanzig beziehungsweise siebenundzwanzig Patienten, dazu ein Stationsarzt. Finde den Fehler! Diese ewige Unterbesetzung geht mir tierisch auf die Nerven. Es gibt zu wenig Ärzte, zu viele Patienten, zu wenig Zeit und zu viel zu tun! Kein Wunder, dass sich viele Eltern bei einer Arztgesprächsdauer von maximal fünf Minuten täglich schlecht behandelt fühlen. Sie werden in diesem System, das leider inzwischen in fast allen Kliniken herrscht, einfach unzureichend betreut. Aber nach dem Vortrag heute ist mir das egal. Heute bleibe ich auf meiner Wolke. Mir kann keiner was!
    Weiß Denner eigentlich schon von dem geänderten Dienstplan?
    Ich rufe ihn vorsichtshalber an: »Herr Denner, ich sollte mich ja heute um unsere Patienten auf der Jugendstation

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