Dann klappt's auch mit dem Doktor
Kopfplatzwunden. Das Wetter ist gut, die lieben Kleinen spielen bereits vor dem Mittagessen drauÃen, und sie fallen hin. Insgesamt sieben Mädchen und Jungs im KleinkindÂalter sitzen mit einem weiÃen Turban aus Mull um den Kopf und Schnuller im Mund im Wartezimmer. Etwa zwölf Schulkinder warten mit Schürfwunden und Prellungen auf ihre Behandlung. Die Liste wird durch Husten, Schnupfen, Heiserkeit vervollständigt. So einen Ansturm zu bewältigen braucht Personal und vor allem Zeit. Die Mütter sind bereits unruhig und fangen an zu rebellieren.
»Frau Doktor, mein Kind hat eine Platzwunde und muss unbedingt vorgezogen werden«, echauffiert sich eine von ihnen.
Vorgezogen? Wovor? Vor all die anderen Platzwunden?
»Es sind noch sechs Kinder vor Ihnen, Sie müssen sich leider gedulden«, erkläre ich ihr.
Es bleibt mir nichts anderes übrig, ich muss wohl doch Dr. Klemme zu Hilfe rufen. Der arbeitet zwar nicht aktiv mit, unterhält dafür aber äuÃerst charmant die heute ausnahmslos gutaussehenden Mütter. Die sind nun wenigstens abgelenkt. Für leichtere Verletzungen und Erkrankungen beträgt die aktuelle Wartezeit ein bis zwei Stunden. Prompt werde ich von einem Vater abgefangen. Er ist Zahnarzt und privat versichert.
»Frau Kollegin!«
Das ist schon mal falsch. Im tiefsten Grunde unseres Herzens halten wir Zahnärzte überhaupt nicht für richtige Ãrzte. Folglich bin ich nicht seine Kollegin.
»Frau Kollegin, wie lange müssen wir denn noch warten?«
Sein Sohn hat eine kleine, oberflächliche Schürfwunde am Knie.
»Sie werden sich noch gute zwei Stunden gedulden müssen. Die Wartezeit können Sie gerne in der Cafeteria überbrücken. Sie werden dann angerufen, wenn Sie dran sind.«
»Frau Kollegin, wir sind privat versichert. Wir möchten vom Chef behandelt werden.«
Tja, wir sind hier in einer Notaufnahme und nicht bei Wünsch-Dir-Was.
»Der Chef ist in der Visite.«
Als ob der wegen einer Schürfwunde die hochheilige Chefvisite unterbrechen würde, um in der Notaufnahme zu erscheinen. Bei einem abgetrennten Arm oder einer Schusswunde vielleicht. Er kommt sicher nicht wegen eines Kratzers.
»Frau Kollegin, jetzt mal unter uns«, nimmt der Vater mich vertrauensvoll zur Seite. »Wenn wir beide Metzger wären, würde ich Ihnen, so unter Kollegen, ja auch das gröÃte Stück Fleisch zuteilen.«
Diese seltsame Metapher widert mich an. So ein komischer Kerl!
Eineinhalb Stunden und fünfzehn Patienten später heile ich endlich seinen Sohn, indem ich ein Dinosaurierpflaster auf die kleine Schürfwunde am Knie klebe. Papa muss noch einmal pusten, fertig.
Plötzlich unterbricht ein Notfall höchster Priorität unsere Notaufnahmeroutine. Mit Blaulicht und Martinshorn wird ein dreizehnjähriger, übergewichtiger Junge eingeliefert, der zu ersticken droht. Blitzblau angelaufen, ringt er verzweifelt nach Luft. Da nützt auch die Sauerstoffmaske, die ihm ein Sanitäter vor das Gesicht hält, nicht mehr viel.
Es ist Marvin aus meiner Moby-Fit -Gruppe. Der hätte heute eigentlich einen Ambulanztermin gehabt. Die Ursache für Marvins Luftnot finde ich zum Glück schnell: Ein Stückchen Frikadelle hat seine Luftröhre verstopft. Während ich rasch, aber vorsichtig versuche, den Fremdkörper mit einer Magill-Zange zu entfernen, höre ich, wie mit einem lauten Knall die Tür aufspringt und dann Denners Stimme.
»Ich wurde wegen eines Moby-Fit -Patienten gerufen. Frau Plüm, was ist passiert?«
Ich habâs! Mit ein wenig Glück kann ich den Frikadellenbrocken in einem Stück herausziehen. Marvin atmet tief durch und sieht auch schon wieder ganz rosig aus.
»Da ist es. So, das warâs. Wir legen noch einen Zugang und lassen erst mal die Ãberwachung dran.«
Ich halte Denner meine Beute vor die Nase.
»Daran ist er fast erstickt. Näheres kann ich noch nicht sagen.«
Marvins Mutter klärt uns auf: Sie wollte ihn über die Ferien endlich mal konsequent auf Diät setzen. So gab es zum Frühstück nur zwei, statt der üblichen acht Brötchen mit Leberwurst. Das war für Marvins Geschmack zu wenig. Er bekam Hunger und schlich sich in die Küche zum Kühlschrank. Als er sich gerade eilig mehrere Frikadellen vom Vortag in den Mund stopfte, erwischte ihn seine Mutter und schimpfte derart mit ihm, dass er sich vor
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