Dann mach ich eben Schluss
Labyrinth verstärkt noch mein Gefühl, dass sich das Leben immer enger um mich zieht wie eine Schlinge, ein Strudel.
»Tapferer Max«, lacht Annika, als wir endlich wieder im Freien sind. »Jetzt hast du dir einen Liebesapfel verdient.«
»Ich mag die Dinger nicht«, protestiere ich schwach, doch da hat sie schon einen gekauft, der SüÃwarenstand ist gleich neben dem Labyrinth.
»Schau mal, wie rot meine Lippen sind!«, ruft sie und fährt mit dem Apfel über ihren Mund. Dann knutscht sie mich ab. Ich muss mit ihr Schluss machen. Wenn ich nur wüsste wie. Wenn ich mich nur trauen würde.
16.
Herr Brückner fehlt wochenlang. Die Randstunden bei ihm fallen aus, der Rest wird irgendwie vertreten, richtigen Matheunterricht haben wir nicht.
»Hoffentlich ist er bald wieder da«, stöhne ich in einer kleinen Pause. Paul, Annika und ich stehen im Flur vor dem Chemielabor am Fenster mit Blick auf die StraÃe, ich schaue auf den Platz, wo Brückners dunkelgrüner Kombi meistens steht.
»Was ist denn in dich gefahren?«, wundert sich Paul. »Sonst bibberst du vor jeder Mathestunde und jetzt wimmerst du nach Brückner? Sei doch froh, musst du mal keine Angst haben und kannst endlich ein bisschen chillen! Oder pauken, damit du vor ihm glänzen kannst, wenn er wieder auftaucht. Das freut ihn bestimmt!«
»Mach ich ja«, antworte ich lahm. Ich habe wieder fast jeden Abend mit meinem Vater gelernt, er lässt ja nicht locker. Falls nächste Woche der Brief kommt, brauche ich jemanden, der mir Mut macht, weil ich es dann meinen Eltern sagen muss. Dafür genügt weder Natalie mit ihrer rebellischen Art noch Delia, die mir immer wieder versichert, wie sehr sie an mich glaube. Brückner würde mir helfen, Argumente zurechtzulegen. Ruhig, besonnen, väterlich und vernünftig. Er muss wiederkommen.
»WeiÃt du eigentlich, was er hat?«, fragt Annika beiläufig, an Paul gerichtet. Ihre Freundin Johanna gesellt sich zu uns und begrüÃt Paul und Annika jeweils mit einem Küsschen auf beide Wangen; mir nickt sie wortlos zu.
»Daraus wird doch immer ein Staatsgeheimnis gemacht«, antwortet Paul. »Von wegen Privatsphäre der Lehrer. Selbst wenn einer ein halbes Jahr fehlt, erfährt man nie den Grund.«
»Ich habe aber keine Lust, mir mein Abi versauen zu lassen, nur weil wir jetzt dauernd Vertretung haben«, mischt sich Marie-Luise aus unserem Kurs ein. »Zehn Doppelstunden Mathe sind jetzt schon ausgefallen. Mein Vater ruft heute beim Schulamt an. Die müssen sich was einfallen lassen, ein Leistungskurs in der Zwölften muss eins zu eins vertreten werden, und zwar im selben Fach und genau da, wo wir stehen geblieben sind.«
Ich spüre, wie mich die Wut packt.
»Mach dich bloà nicht so wichtig«, motze ich sie an. »Brückner ist echt selten krank, da gibt es ganz andere, den Stoff holen wir schon irgendwie auf.«
»Pfff«, macht Marie-Luise. Sie hat sich schnell wieder gefangen und mustert mich mit spöttisch geschürzten Lippen von oben bis unten. »Das sagt der Richtige. Wenn du nicht bei Paul abschreiben kannst, bist du doch aufgeschmissen.«
»Max«, entrüstet sich auch Annika. »Was ist denn in dich gefahren? Komm mal wieder runter, du benimmst dich ja wie der letzte Proll.« Sie tritt neben mich und will mich am Arm von Marie-Luise wegziehen, dabei habe ich der gar nichts getan. Ich schüttle ihre Hand ab, ohne Marie-Luise aus den Augen zu lassen.
»Er kommt bestimmt bald wieder, klar? Er kommt wieder! Dein Alter kann sich seinen beschissenen Anruf und sein Geschleime beim Schulamt sonst wohin stecken! Er braucht sich gar nicht so aufzuspielen! Brückner ist nicht so einer, der alle Nase lang blaumacht, nur weil er Arbeiten korrigieren muss oder der gleich zusammenbricht, wenn ihm mal einer dämlich kommt. Brückner ist zäh, ich wünschte, ich wäre nur einen Bruchteil so wie er.«
Paul schiebt sich zwischen die Mädchen und mich und scheint beschwichtigend auf mich einreden zu wollen, doch im selben Moment spüre ich den Vibrationsalarm meines Handys. In der Hosentasche. Rasch entferne ich mich ein paar Schritte von der Gruppe, vielleicht hat Delia mir eine SMS geschickt und will mich sehen. Unwillkürlich muss ich lächeln und werfe einen kurzen Blick aus dem Fenster, heute ist es fast schon sommerlich warm, Delia und ich könnten
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