Dann mach ich eben Schluss
Brückner schon krank ist, habt ihr doch hoffentlich nicht noch mehr Unterrichtsausfall?«
»Nichts fällt aus. Mir war nicht gut, das ist alles.« Ich schiebe mich an ihr vorbei und verschwinde in meinem Zimmer, lege mich aufs Bett, doch wenige Minuten darauf ist sie wieder bei mir und stellt mir mundgerecht geschnittenes Obst und einen Becher dampfenden Kräutertee hin.
»Du siehst blass aus«, bemerkt sie. »Mir tut es ja auch leid, wie viel Stress ihr heutzutage in der Schule habt. Leider konnten wir uns das mit dem achtjährigen Gymnasium nicht aussuchen ⦠für einen sensiblen Jungen wie dich wäre es sicher besser gewesen, ein Jahr länger für den ganzen Stoff zur Verfügung zu haben. Jetzt fehlt auch noch dein Lieblingslehrer.« Sie streicht mir mit der Hand über die Stirn. »Aber da müssen wir jetzt durch, hm?«
»Was ist mit Papas Arbeit?«, frage ich sie. »Wird er tatsächlich denmächst zu Hause sitzen?«
»Damit sollst du dich nicht belasten«, weicht sie aus. »Bei seiner Qualifikation wären sie dumm, Matthias zu entlassen. Aber jetzt strengt er sich natürlich noch mehr an und macht unentwegt Ãberstunden, um die Firma zu retten. WeiÃt du was, Max â wenn du alles überstanden hast, den ganzen Stress in der Schule, dann gönnst du dir mal wieder etwas richtig Schönes. Dann verreist du mal mit deiner Annika. Du wolltest doch so gern einmal auf die Malediven, einen Tauchkurs belegen.«
Mit Annika in Urlaub fahren. Mama weià nichts von Delia, nichts davon, dass mein Herz sich noch immer anfühlt wie eine aufgerissene Wunde, pulsierend bis der Körper leer ist und nur noch eine farblose Hülle übrig bleibt.
»Vielleicht«, sage ich. Ich will, dass sie geht.
»Oder du nimmst an einem Ruderwochenende teil«, fährt meine Mutter fort. »Das hast du doch früher so gerne gemacht, und die frische Luft wird dir gut tun, nachdem du zurzeit so viel in den Schulräumen und in deinem Zimmer bist. Mach den ganzen Sommer lang nur, wozu du Lust hast, Max. Du wirst sehen, das Studium packst du danach mit ganz frischen Kräften.«
In unserer Familie stehen die nächsten Wochen ganz im Zeichen von Natalies Musikwettbewerb. Zu Hause sehe ich sie nur selten, und wenn, verschwindet sie nach den gemeinsamen Mahlzeiten meist sofort in ihrem Zimmer, um Saxofon zu üben. Einerseits bin ich erleichtert, dass unsere Eltern während dieser Zeit ein wenig ihren Blick von mir wenden und mit ihr fiebern, andererseits hätte ich gern mit ihr über Bollschweiler geredet. Die trotzige, rebellische Art meiner Schwester hätte mir vielleicht Auftrieb gegeben, auch in mir einen Kampfgeist geweckt. Aber ich will Nati nicht mit meinen Problemen belasten, sie braucht ihre Energie für sich selbst, muss sich voll konzentrieren können, bei jeder Probe, jeder Ãbungsstunde zu Hause. Meine Mutter geht vollkommen darin auf, ihr jeden Wunsch von den Augen abzulesen, kocht alles, worauf sie Appetit hat, hat Bachblütentropfen gegen das Lampenfieber besorgt. Papa lässt sich jeden Abend von ihr die Stücke vorspielen, die sie auf die Bühne bringen wird, hat immer etwas zu kritisieren, nie spielt sie seiner Auffassung nach gut genug.
»In deinem Sicherheitsnadel-Look kannst du da nicht hingehen, das ist dir hoffentlich klar«, belehrt er sie wenige Tage vor dem Wettbewerb beim Abendessen. »Ich hoffe wirklich, dass du dir bis dahin einen Fundus an etwas erwachseneren Kleidern zulegst, du lebst schlieÃlich nicht in einem besetzten Haus oder bist in der Gosse gelandet. Kleider machen Leute, Natalie, lass dir das gesagt sein. Ich möchte nicht, dass du dir wegen deines kindlichen Trotzes, den du zweifelsohne mit deiner Aufmachung zur Schau trägst, den Sieg vermasselst. Damit würdest du dir selbst am meisten schaden.«
»Für wie blöd hältst du mich eigentlich, Papa?«, gibt Nati zurück, doch ihre Stimme klingt nicht mehr so kämpferisch und souverän wie sonst, allmählich scheint er auch sie einzuschüchtern. »Ich gehe im Faltenrock und weiÃer Bluse, ist doch klar.«
»Matthias hat recht«, wirft Mama ein. »Der optische Eindruck macht bei solchen Wettbewerben viel aus. Aber wir finden schon etwas Geeignetes, nicht wahr, Nati? Mutter und Tochter können durchaus mal wieder zusammen shoppen gehen. Ich weià gar nicht, wann wir das zum
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