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Dann mach ich eben Schluss

Dann mach ich eben Schluss

Titel: Dann mach ich eben Schluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Fehér
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dann zum Friedhof, um das Grab zu harken und eine stumme Zwiesprache mit dem Ehemann oder der Schwester zu halten, später zurück nach Hause, zu Kaffee und Kuchen, danach ist der Tag bald vorbei, der Montag ist leichter zu ertragen, man kann besser unter Menschen gehen, sich in das Treiben auf den Straßen und in den Geschäften mischen. Auch mein Sonntag hört nicht auf.
    Ich suche das Grab, das Delia mir bei unserem letzten Treffen gezeigt hat, habe aber den Weg vergessen. Weit hinten, fast schon an der Friedhofsmauer entdecke ich ein frisch ausgehobenes Grab, die aufgehäufte Erde links und rechts davon ist noch dunkel vor Feuchtigkeit. Ich bleibe dicht davor stehen und blicke hinein, erschrecke ein wenig darüber, wie tief die Gruft ist, schon morgen wird jemand darin liegen, jemand, der vielleicht vor wenigen Tagen noch gelaufen ist und gesprochen hat, gegessen und getrunken, geliebt, sich geärgert, gelacht und geweint. Die Beerdigung steht fest, morgen rückt die Verwandtschaft an, Kollegen, Nachbarn. Vielleicht wird Delia Blumen binden und Kränze stecken. Ich stelle mir vor, es wäre mein eigenes Grab, ich selber würde im Sarg hinuntergelassen werden, um mich ist alles dunkel, ich spüre nichts mehr, nicht hier, weil ich längst woanders bin, in einer anderen Welt, wo mich nichts mehr belastet, wo es keinen Schmerz gibt, keine ungestillte Sehnsucht, kein Vermissen und keine Verzweiflung. Mein Körper liegt im Dunkel, und nachdem die Menschen um mich etwas Erde auf meinen Sarg geworfen haben, vielleicht ein paar Tränen geweint, wenden sie sich ab und gehen, und ich bleibe allein in der Tiefe liegen, während ihre Schritte sich entfernen, zögernd zunächst, doch bald schon entschlossener, zurück in ihr eigenes Leben, das weitergeht, weiter ohne mich, es muss ja, werden sie sagen. Ich bin nicht mehr dabei, sie können mir nichts mehr tun, in der Erde liegt nur mein Körper, ich bin weg.
    Die Tiefe der Gruft zieht mich an. Rasch blicke ich mich um, um mich zu vergewissern, dass mich niemand beobachtet, dann hocke ich mich auf den Boden, drücke die Hände in den kühlen Sand und springe ab, abwärts, es fühlt sich noch tiefer an als es aussah. Unten lege ich mich auf den Rücken, bereits nach kurzer Zeit spüre ich die feuchte Kälte der Erde in der Tiefe durch den Stoff meines Anzugs kriechen, blicke nach oben, steil und hoch ragen die Seitenwände neben mir auf, aber über mir ist der Himmel, blau und zartrosa, von fedrigen Schleierwolken durchzogen. Ich liege lange und beobachte sie, wie sie weiterziehen, unbeeindruckt von meinen schwarzen Gedanken und meiner Einsamkeit hier unter ihnen, ich liege und warte, aber es kommt niemand, es sucht niemand nach mir, die offene Gruft schluckt die meisten Geräusche, es ist friedlich hier drin. Bald wird die Dämmerung hereinbrechen und die Nacht den Tag vertreiben. Ich könnte noch bleiben.
    Â»Was hast du denn da an?«, fragt mich Annika gleich am Montag, als Nati und ich sie wie üblich von zu Hause abholen. »Einen Anzug? An einem ganz normalen Montag?« Sie mustert mich vom Beifahrersitz aus, ihr Blick verwundert, doch es schwingt auch verhaltene Anerkennung darin mit.
    Â»Mir war so danach«, antworte ich und ringe mir ein verkrampftes Grinsen ab. »Du wolltest doch, dass ich meinen Look ändere, also hab ich’s getan. Gefällt es dir nicht?«
    Â»Total übertrieben«, urteilt sie. »Was willst du denn anziehen, wenn es wirklich einen Anlass für den Anzug gibt?«
    Â»Ich find’s cool«, wirft meine Schwester ein, die wieder hinter uns sitzt. »Der Anzug steht ihm super und er hebt sich damit von der breiten Masse ab. Man braucht nicht immer für alles einen verdammten Anlass.«
    Annika stößt einen zweifelnden Laut aus. Eine Antwort von mir wartet sie gar nicht erst ab, fängt stattdessen an, von einem Kinofilm zu erzählen, den sie gestern mit Johanna und Marie-Luise gesehen hat. Sie plappert, bis wir vor der Schule angekommen sind. Während ich wenig später neben ihr und Natalie zum Haupteingang gehe, bemerke ich auch von den anderen verwunderte Blicke, aber niemand spricht mich auf den Anzug an, keiner scheint zu ahnen, weshalb ich ihn trage und was er bedeutet. Die Stimmung in unserem Jahrgang ist angespannt, alle wirken erschöpft und ausgelaugt, nicht nur in Bollschweilers Stunden.
    Â»Oh, der Herr Rothe heute als

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