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Dann mach ich eben Schluss

Dann mach ich eben Schluss

Titel: Dann mach ich eben Schluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Fehér
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letzten Mal gemeinsam getan haben.«
    Â»Und du, Maximilian?« Vater richtet seinen Blick auf mich. »Wir als Natalies Familie sollten auch standesgemäß gekleidet sein, wenn wir zu ihrem Auftritt bei Jugend musiziert gehen. Ich gehe davon aus, dass du aus deinem Konfirmationsanzug herausgewachsen bist und in Jeans und Pullover … das geht auf keinen Fall. Immerhin steht ja auch deine Abiturfeier bevor, also brauchst du ohnehin etwas Neues.«
    Â»Ich besorg mir was«, versichere ich. »Damit musst du wirklich nicht deine kostbare Zeit vergeuden, Papa.«
    Â»Gut so.« Seine Gesichtszüge entspannen sich leicht, er nimmt einen tiefen Schluck aus seinem Bierglas. »So langsam fange ich an, mich auf diese Familienereignisse zu freuen.«
    Wenn du wüsstest, denke ich. So viel zu freuen gibt es da nicht.
    20.
    Am Sonntag kaufe ich mir auf einem Flohmarkt einen gebrauchten dunklen Anzug, nicht mehr modern, ein wenig verschlissen, aber der Zettel von der letzten Reinigung hängt noch dran, der feine, glatte Stoff lässt darauf schließen, dass er früher mal ein edles Stück war. Zu Hause stelle ich fest, er sitzt ganz gut, nur an den Schultern hängt er etwas und die Hose fällt ein wenig zu locker. Dennoch macht er mich erwachsener, zumindest äußerlich, ein Anzug für alle Gelegenheiten. Ich ziehe ihn mit einem weißen Hemd darunter an, binde einen Schlips dazu, danach eine Fliege. Probiere das Jackett offen mit einem Shirt und meinen ausgetretenen Sneakers an den Füßen. Selbst Annika müsste zufrieden sein, wenn ich ihn trage, an Pauls achtzehntem Geburtstag, beim Abiball, zu Hochzeiten, Taufen. Zu Natalies Musikwettbewerb und dem anschließenden Empfang. Bei meiner eigenen Beerdigung. Ich gehe ins Bad und schaufele mir kaltes Wasser ins Gesicht, rubbele es mit einem frischen Handtuch trocken und creme mich ein. Benetze auch meinen Kamm mit Wasser und kämme mir die Haare nach hinten, streiche mit den eingecremten Händen darüber. Eine Frisur wie die eines Bankangestellten oder Managers, die mich ebenfalls älter erscheinen lässt. Mit diesem Look entdecke ich die optische Ähnlichkeit mit meinem Vater wieder. Wenn ich so alt werden würde wie er, ob ich dann auch so drauf wäre? Vom Leben enttäuscht, anderen gegenüber unerbittlich wie zu sich selbst? Keine Sorge, Max, sage ich zu mir selbst, so alt wirst du nicht. Du machst dich vorher aus dem Staub. Ich beuge mich vor, näher an den Spiegel heran, und versuche meine Augen so weit zu schließen, dass ich mich gerade noch durch die Wimpern hindurch sehen kann. Auch meine Lippen schließe ich und höre auf zu atmen, kein Hauch beschlägt das Spiegelglas und mein Gesicht ist ohnehin immer blass, nur der wächserne, gelbliche Anschein der Haut eines Verstorbenen fehlt.
    Erst als ich wieder atmen muss, wende ich mich ab und gehe zurück in mein Zimmer, doch jetzt dringen Geräusche von der Wohnungstür zu mir. Meine Eltern kehren von einem Ausflug zurück. Ich will sie nicht sehen, also springe ich auf und schlüpfe in meine Sneakers, ehe ich versuche, aus dem Zimmer zu schlüpfen. Im Flur pralle ich beinahe mit meinem Vater zusammen.
    Â»Wohin so schnell?«, fragt er und mustert mich. »Alles für die Schule schon erledigt?«
    Meine Mutter tritt hinzu und wirft mir einen anerkennenden Blick zu. »Sonst hätte er sich kaum so schick gemacht«, meint sie und zwinkert mir zu. »Wir müssen nicht alles wissen, nicht wahr, Max? Komm nicht so spät zurück, morgen musst du wieder früh raus.«
    Â»Bestimmt nicht«, verspreche ich und jage weiter, nur nach draußen, nur fort von hier, fort von ihren Fragen. Ich renne, bis ich in meiner Lunge schmerzende Nadelstiche spüre, aber nun bin ich schon fast beim Friedhof angekommen, bei Delias Friedhof, die Sehnsucht nach ihr hat mich vor Kurzem noch so sehr geschmerzt, dass es mich innerlich zu zerreißen drohte. Jetzt spüre ich nichts mehr, versuche mir ihr Gesicht vorzustellen, sehe sie jedoch nur wie hinter einem Schleier, höre ihre Stimme nicht mehr. Vielleicht ist sie hier.
    Am Eingang kommen mir Friedhofsbesucher entgegen, zumeist ältere Damen, ich stelle mir vor, wie dankbar sie für die Grabpflege sein müssen, die ihrem langen, einsamen Sonntag eine Struktur gibt, eine Unterteilung, vorher kann man zur Kirche gehen, Mittag essen, einen Blick in die Zeitung werfen,

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