Dann mach ich eben Schluss
Ritze zwischen meinem Bett und dem Fernseher, es ist mir egal.
Am späten Nachmittag steht Annika plötzlich in meinem Zimmer, wir sind nicht verabredet. Ich blicke kaum von meinem Laptop auf, mit dem ich auf dem Bett sitze. Was kann Annika schon wollen.
»Paul hat gesagt, du hast deine Klausur schon nach knapp zwei Stunden abgegeben«, berichtet sie vorsichtig. »Da wollte ich nach dir schauen. Du hast das ja kaum getan, weil du ⦠in allen Aufgaben sicher warst.«
Ich brumme anstelle einer Antwort nur vor mich hin. Annika setzt sich neben mich.
»Ich kann mir vorstellen, wie blöd das für dich ist«, versucht sie es noch einmal. »In Latein hatte ich auch schon mal so ein Blackout. Aber du hattest doch noch Zeit. Vielleicht wäre die Aufregung irgendwann verflogen und du hättest doch noch was geschafft. Wenigstens ein paar Aufgaben.«
»Glaubâ ich nicht.« Ich sehe sie noch immer nicht an, starre weiter auf den Bildschirm. »Da ging gar nichts.«
Annika schweigt, lehnt sich an die Wand, wartet ab. Ich habe gerade ein paar Fotos hochgeladen, muss mich konzentrieren.
»Soll ich wieder gehen?«, will sie wissen. Zum ersten Mal seit langer Zeit klingt ihre Stimme sanft, nicht mehr fordernd, es schwingt kein unzufriedener, nörgelnder Unterton darin. Sie fragt so, als ob sie glaube, dass es für mich besser wäre, allein zu sein.
»Bleib ruhig«, antworte ich deshalb. »Ich bin bald fertig.«
Ich höre sie durchatmen, fühle ihre Fingerspitzen auf meinem Oberschenkel.
»Was machst du gerade?«, erkundigt sie sich und beugt sich leicht vor, um mit mir auf den Bildschirm zu schauen. »Studierst du Kleinanzeigen? Was willst du denn kaufen?«
»Nichts. Ich stell meine Malsachen im Internet ein, um sie zu versteigern.«
»Oh.« Annika löst ihre Hand von mir und legt sie auf ihren Mund, ganz kurz blicke ich sie an, ihre Augen sind geweitet und auf mich gerichtet. »Willst du das Malen aufgeben?«
»Scheint das Vernünftigste zu sein.«
Sie lehnt ihren Kopf an meine Schulter.
»Manchmal würde ich die Schule am liebsten abschaffen«, gibt sie zu. »Kaum einer hat mehr Zeit für seine Hobbys. Du malst nicht mehr, gehst nicht mehr mit Paul zum Rudern, und am Klavier hast du mir schon ewig nichts mehr vorgespielt, dabei höre ich so gerne die Ballade pour Adeline .«
»Die ist nichts Besonderes«, wende ich ein. »Jeder Klavierschüler bekommt sie irgendwann aufgebrummt, und es gibt leichte und kompliziertere Versionen davon. Der Laie hört den Unterschied kaum.«
»Trotzdem ist es eines meiner Lieblingsstücke, weil es einfach romantisch ist. WeiÃt du noch, wie ich dich angehimmelt habe, als du sie in der Elften mal in der Schule vorgespielt hast? Es wurmt mich einfach, dass wir alle fast nur noch für die Schule leben. Früher war ich in der Theater-AG, hatte Ballettunterricht ⦠da kannten wir uns noch nicht. Meine Ballettlehrerin ist halb durchgedreht, wenn ich mal gefehlt habe, weil ich lernen musste. Also habe ich aufgehört. Und so ist es bei fast allen.«
»Hilft ja nichts«, sage ich und fange an, die Artikelbeschreibung zu formulieren. Es ist alles dabei: Aquarellblöcke, Farben und Pinsel, noch unbenutzte Leinwände, Bleistifte in allen Stärken, erstklassige Radierer, Ãlkreiden, hochwertiges Papier. Eine Staffelei, die ich selten benutzt habe.
»So viele Utensilien«, bemerkt Annika. »Eigentlich ist das doch schade, die Sachen werden ja nicht schlecht, wenn du sie bis nach dem Abi aufhebst. Höchstens die angebrochenen Tuben können eintrocknen, oder? Du kannst doch wieder malen, wenn du alles hinter dir hast.«
Ein letztes Mal lese ich durch, was ich geschrieben habe, verbessere einige Tippfehler. Ein auffälliger Button mit der Aufschrift »Jetzt einstellen« prangt unten rechts auf der Seite, ich klicke darauf. Meine Mal- und Zeichensachen stehen zum Verkauf.
»Und du?«, frage ich sie. »Fängst du nach den Prüfungen wieder mit dem Ballett an?«
Annika schüttelt den Kopf. »Ich bin schon zu lange raus«, meint sie. »Neben den anderen Mädchen in meiner Altersklasse würde ich mich nur blamieren. Und mein Studium wird mir auch kaum Zeit dafür lassen.«
»Siehst du«, sage ich und fahre das System herunter. »Dann ist es bei dir auch nicht anders. Es gibt so viele, die besser zeichnen
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