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Dann mach ich eben Schluss

Dann mach ich eben Schluss

Titel: Dann mach ich eben Schluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Fehér
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der Grundschule einer bürgerlichen Vorstadtsiedlung, der Hauptschule im Arbeiterviertel, dem Ausländerbezirk oder dem Elitegymnasium. Das läuft überall gleich. Mir sind dafür meine Nerven zu schade, und deshalb: Wer sich von sich aus leistungsbereit zeigt, wird belohnt, für alle anderen tut es mir leid. Ich habe auch noch ein anderes Leben als das in der Schule, und in der muss ich im Gegensatz zu Ihnen noch eine ganze Reihe an Jahren durchhalten.«
    Brückner nickt. Sven Bollschweiler sieht genau, dass es kein zustimmendes Nicken ist. Der ältere Kollege blickt auf seine Armbanduhr.
    Â»Es ist besser, ich mache mich auf den Weg«, verkündet er. »Die Schüler kommen gleich, und ich möchte sie nicht zusätzlich verwirren, indem ich plötzlich vor ihnen stehe, wo sie nicht mit mir rechnen. Gut, dass der Abiturjahrgang bereits unterrichtsfrei hat und nur noch zur Zeugnisverleihung kommen muss.« Er tritt auf Bollschweiler zu und reicht ihm die Hand. »Ich wünsche Ihnen eine glückliche Hand in diesen schweren Stunden. Und auch, dass die Erfahrung Sie mit den Jahren etwas gelassener auf die jungen Menschen zugehen lassen wird.« Damit geht er und schließt die Tür fest hinter sich. Bollschweiler ist allein.
    Ein paar Atemzüge lang bleibt er stehen, muss sich sammeln. Die Vorhaltungen des älteren Kollegen haben ihm mehr zugesetzt, als er es eingestehen mochte. Ruhig bleiben, beschwört er sich selbst; gleich kommen die Schüler, das wird nicht einfach heute. Zum Glück ist der erste Block durch die Dienstbesprechung um eine Stunde verkürzt und danach große Pause. Er muss darauf achten, dass nicht zu viel Zeit mit Gerede draufgeht.
    Natürlich wird er den tragischen Tod Maximilians ansprechen; gut, dass dessen Kurs keinen Unterricht mehr hat; lediglich zur Abifeier muss er ihnen noch einmal unter die Augen treten. Übelkeit breitet sich in seinem Magen aus, wenn er sich ihre Gesichter vorstellt. Aber auch die kommende Stunde mit dem Grundkurs wird nicht einfach; wer Mathe nicht als Leistungsfach belegt hat, gehört oft zu den Schwaflern, die sich mit Literatur und Politik befassen, mit Sprachen. Viele von ihnen sind redegewandt und im Diskutieren geübt. Er muss sich wappnen. Tief durchatmen, die Schultern straffen. Sich Worte zurechtlegen, mit denen er den Jugendlichen gegenüber sein Bedauern über den Tod Maximilians ausdrücken, ihnen gleichzeitig aber unmissverständlich klarmachen kann, dass dies nichts am heutigen Unterrichtspensum mitsamt seinen Anforderungen ändern wird.
    Wenig später vernimmt er von draußen die Stimmen der Schüler auf dem Gang, leises Gemurmel statt wie sonst lautes Reden und Lachen. Bollschweiler baut sich vor dem Smartboard auf, verschränkt seine Arme vor der Brust. Gleich darauf wird die Tür von außen geöffnet, die Schüler des Mathe-Grundkurses der elften Klasse schleichen still zu ihren Plätzen, die Blicke zu Boden gesenkt, einige Mädchen haben rot geränderte, feuchte Augen und halten sich an den Händen, die Jungen haben die Arme um die Schultern ihrer Freundinnen gelegt oder setzen sich stumm und bleich auf ihre Plätze. Sein »Guten-Morgen«-Gruß, als schließlich alle Schülerinnen und Schüler sitzen, erscheint Bollschweiler selbst unpassend und wird kaum erwidert. Er räuspert sich.
    Â»Ich gehe davon aus, dass Sie alle spätestens heute früh vom tragischen Tod Ihres Mitschülers Maximilian Rothe erfahren haben«, beginnt er. »Ich versichere Ihnen, dass auch ich über diese Nachricht zutiefst erschrocken bin und den Verlust aufrichtig bedauere. Mein Mitgefühl gehört Maximilians Eltern sowie seiner Schwester Natalie aus unserem Kurs, die bei dem Unglück offenbar nur leicht verletzt wurde.« Danach informiert er den Kurs mit knappen Worten über die von Herrn Gaedicke festgesetzte Schweigeminute und das Kondolenzbuch.
    Â»Trotz unserer Trauer angesichts des verhängnisvollen Unglücks sollten wir versuchen, uns nun auf den Unterricht zu konzentrieren«, schließt er seine Ausführungen. »Es nützt nichts, in der Schockstarre zu verharren. Führen Sie sich vielmehr Maximilian als Negativbeispiel vor Augen – sein Abitur galt durch sein sukzessives Nachlassen der Leistungen während der vergangenen Wochen und Monate nahezu als gescheitert. Vermutlich hat dies maßgeblich zu seiner

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