Dann muss es Liebe sein
Sie hält mich für eine dumme alte Schachtel.« Frances seufzt. »Aber vor Ihnen hat sie großen Respekt, Maz.«
Geht mich das überhaupt etwas an? Das Leben war sehr viel unkomplizierter, als wir noch nicht so viele Angestellte hatten.
Etwas später lauere ich Shannon auf, als sie aus dem Umkleideraum kommt, wo sie ihr Make-up aufgefrischt hat.
»Komm, Shannon, wir holen jetzt Ginge und versuchen herauszufinden, warum er ständig irgendwo gegenknallt. Der Augenhintergrund von Katzen ist wirklich schön.«
»Noch so ein Wunder der Natur?«, will sie argwöhnisch wissen. »Wie die Kastration der Hündin?«
»Ganz genau.« Ich hätte mir Ginges Augen schon früher anschauen sollen, aber ich bin einfach nicht dazu gekommen. Ich weiß, das ist eine jämmerliche Ausrede, doch er scheint sich keine Sorgen wegen seines eingeschränkten Gesichtsfelds zu machen, und das Letzte, was ich nach einem langen Tag mit meinen Patienten tun möchte, ist, ihn zu ärgern. Er hasst es, wenn man an ihm herumhantiert.
Shannon und ich stehen im dunklen Sprechzimmer. Ginge liegt zwischen uns auf dem Tisch, und eines seiner Augen wird vom schmalen Lichtstrahl des Ophthalmoskops ausgeleuchtet. In Wahrheit ist es doch kein so schöner Anblick. Die Netzhaut hat sich teilweise vom Augenhintergrund gelöst, und an diesen Stellen ist er wie von lachsfarbenen Schleiern verhangen. Ich glaube kaum, dass sich das reparieren lässt.
»Wie soll er denn damit zurechtkommen?«, fragt Shannon.
»Bis zu einem gewissen Grad hat er sich schon daran gewöhnt. Er rennt nicht mehr gegen Gegenstände, von denen er weiß, dass sie da sind. Probleme gibt es nur, wenn jemand von uns etwas verrückt – ein Möbelstück oder einen Wäschekorb zum Beispiel.« Ich zögere. »Und selbst mit perfekt gesunden Augen sieht man manchmal nicht, was sich direkt vor einem befindet. Komisch, findest du nicht?« Ich schalte das Ophthalmoskop aus und das Licht wieder an. »Die Menschen sind nicht immer das, was sie scheinen«, fahre ich unbeholfen fort, aber Shannon wechselt das Thema.
»Maz, können wir einen Termin für Siebens erste Impfung ausmachen?«, bittet sie. »Aurora hat die anderen zwölf Welpen heute hergebracht. Sie sind so süß. Die ganze Zeit sind sie aus ihrem großen Karton raus- und wieder reingekrabbelt. Drew musste diejenigen, die er schon geimpft hatte, mit Tipp-Ex kennzeichnen, damit wir sie auseinanderhalten konnten.« Shannon lächelt. »Aurora hat ihre Meinung geändert und will sie nun doch nicht mehr behalten. Sie kann es kaum erwarten, sie loszuwerden, seit sie ihre Lieblingsdesignerhandtasche zerbissen haben. Sie hat bereits alle verkauft – für tausend Pfund das Stück. Aber sie sagt, das ganze Geld würde draufgehen, um den Schaden zu beheben, den sie in ihrem Garten angerichtet haben.«
»Genug jetzt von den Welpen, Shannon«, unterbreche ich sie. »Bist du nie auf den Gedanken gekommen, dass Drew eine Freundin oder Verlobte haben könnte? Zu Hause in Australien vielleicht?«
»Er hat doch mich«, entgegnet Shannon stirnrunzelnd. »Er würde mich nie anlügen, Maz, und überhaupt will ich mit Ihnen nicht über private Sachen reden.«
»Es tut mir leid, dass du es von mir erfahren musst – aber Drew hat zu Hause in Australien eine Verlobte.«
Shannon schnappt nach Luft. »Das kann nicht sein! Das hätte er mir ja wohl erzählt.«
»Frances hat gehört, wie er mit ihr telefoniert hat.«
»Die alte Schabracke!«, schimpft Shannon. »Das ist illegal. Sie hat gegen seine Menschenrechte verstoßen.«
»Das reicht, Shannon. Ich will nicht, dass du hier jemanden beschimpfst. Wie Frances an diese Information gekommen ist, ist unwichtig. Aber es ist nun mal eine Tatsache, dass Drew dir gegenüber nicht ganz ehrlich war.«
»Und wenn schon.« Shannons Augen blitzen vor Wut. »Sie und Emma sollten nicht ständig auf Drew herumhacken, bloß weil er der bessere Tierarzt ist.«
»Sagt wer?«
»Drew.«
Aus lauter Ärger darüber, dass Shannon nicht auf mich hören will und Drew noch immer für Gottes größtes Geschenk an die Menschheit hält, gebe ich ihr ein komplettes Kapitel aus dem Lehrbuch für Tierarzthelferinnen zu lesen und kündige an, dass ich sie morgen über den Inhalt abfragen werde.
Mit verschränkten Armen und trotzig vorgerecktem Kinn starrt sie mich an. Ginge stupst gegen meinen Arm, um mich daran zu erinnern, dass er auch noch da ist und einen Aufzug nach unten braucht. Shannon wird ihre Meinung nicht ändern. Liebe
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