Dann muss es Liebe sein
In gewisser Weise ist es für sie sogar eine Erleichterung, da ihr die Entscheidung über weitere Tests und Behandlungen abgenommen wurde. Sie will jetzt nur noch, dass Brutus friedlich zu Hause in seinem Körbchen sterben kann. Und das wünschen wir uns im Grunde ja alle, nehme ich an«, fährt Frances fort, den Blick auf eine der Meeresansichten an der Wand gerichtet. Ich frage mich, welche Erinnerungen diese Bilder bei ihr auslösen.
»Sind die Bilder Ihnen unangenehm?«, frage ich sie. »Wir können sie auch abnehmen, wenn Sie möchten.«
»O nein, sie gefallen mir. Sie sind auf eine seltsame Art tröstlich.«
Ich lenke das Gespräch wieder zurück auf Mrs Dyer und ihren Hund.
»Hat sie gesagt, wie es Brutus geht?«
»Die Schmerzmittel wirken gut, und er frisst wie ein Scheunendrescher – anscheinend arbeitet er sich gerade durch eine komplette Rinderhälfte. Aber Christine macht sich nichts vor. Sie weiß, dass ihm nicht mehr viel Zeit bleibt, und sie möchte, dass Sie kommen, wenn es so weit ist. Aber sie hat ja auch kaum eine Wahl, wenn sie nicht komplett die Praxis wechseln möchte. Außer Ihnen ist ja im Moment niemand da. Es ist eine Schande, dass Sie das machen müssen, Maz. Das nimmt Sie doch immer so mit – und das ist weder für Sie gut noch für Ihr Baby.« Frances hält inne. »Ich wusste vom ersten Moment an, dass Drew Ärger machen würde. Dem Kerl weine ich keine Träne nach.«
»Manch andere schon.« Shannon zum Beispiel. Sie hat ihre schwarzen Klamotten wieder aus dem Schrank geholt, ihr Haar schimmert kohlschwarz wie das Fell eines jungen Labradors, und ihre Augen sind dick mit dunklem Eyeliner umrandet. Und als Lynsey Pitt heute Morgen Raffles vorbeigebracht hat, erzählte sie, wie sehr sie Drews Plaudereien beim Frühstück vermisst. Ich vermisse ihn auch – ungefähr so sehr wie ein Loch im Kopf.
»Shannon wird darüber hinwegkommen«, sagt Frances. »Sie sind es, um die ich mir Sorgen mache. Diese Praxis ist auf zwei Tierärzte ausgelegt. Es ist zu viel Arbeit für einen allein.« Sie schaut an mir vorbei. »Ich wusste gar nicht, dass Emma heute herkommen wollte.«
Ich blicke über meine Schulter. Emma steigt gerade aus dem Auto.
»Ich auch nicht.« Sie war vor ein paar Tagen hier, um mir zu sagen, dass sie auf das Ergebnis ihrer Blutuntersuchung wartet, doch sie hat mit keinem Wort angedeutet, wann sie vorhat, wieder zur Arbeit zu kommen. Ich habe sie nicht danach gefragt. Wozu auch? Sie hat mir deutlich zu verstehen gegeben, dass sie erst wieder zurückkommt, wenn sie dafür bereit ist, und auch dann nur zu ihren eigenen Bedingungen.
»Ich wünschte, ich hätte es gewusst«, entgegnet Frances. »Ich musste so viele Anrufer vertrösten.«
»Wenn Sie sie tagsüber nicht mehr unterbringen, können Sie noch immer Termine nach sieben Uhr vergeben«, antworte ich, denn ich möchte nicht, dass unsere Patienten abgewiesen werden.
»Hallo, Frances.« Emma kommt herein und schlendert an den Tresen, dann bemerkt sie mich. »Oh, da bist du ja, Maz. Nein, bleib ruhig sitzen.« Sie hebt abwehrend die Hand, als ich Anstalten mache, mich von meinem Stuhl hochzuhieven.
»Wie schön, Sie zu sehen, Emma«, begrüßt Frances sie hoffnungsvoll. »Sagen Sie nichts – diesmal hat es geklappt. Das lese ich Ihnen von den Augen ab.«
»Sie haben recht, Frances.« Emma tätschelt vorsichtig ihren Bauch, als wäre es ein winziger Hund. »Das Ergebnis der Blutanalyse war positiv. Ich weiß, es ist noch früh, doch ich bin so aufgeregt.«
»Das ist die beste Nachricht seit Langem«, entgegne ich und gehe zu ihr an den Tresen.
»Ich hätte wahrscheinlich nichts sagen sollen«, fährt Emma mit einem leisen Lächeln fort, »aber ich dachte, ihr würdet es sowieso erraten.«
Ich frage mich, ob es für Emma anders wäre, wenn sie in einer großen Praxis arbeiten würde, wo sie sich unbemerkt fortschleichen könnte und ihre Besuche in der Klinik niemandem auffallen würden. Hier im Otter House ist alles so öffentlich. Die nächsten neun Monate werden für sie eine sehr lange Zeit.
»So ein Ärger aber auch, diese Sache mit Drew«, meint Emma.
Ein paar Tage nach Brutus’ Operation und Drews Verschwinden habe ich ihr erzählt, was vorgefallen war. Ich wollte den Erfolg des Embryotransfers nicht gefährden, indem ich sie aufregte. Also habe ich gewartet, bis ich mich wieder beruhigt hatte, und sie dann erst angerufen – zu dem Zeitpunkt war sie noch immer in London. Alex hat mein Vorgehen ungewöhnlich
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