Dann muss es Liebe sein
viele Termine wie möglich und sagen Sie alle Operationen ab.« Ich kann heute einfach nicht arbeiten. »Aber vorher bringen Sie bitte Mrs Dyer ins Büro.«
»Tee und Kekse?«, fragt Frances hoffnungsvoll.
Ich schüttele den Kopf. Mir ist übel. Am liebsten würde ich lügen. Am liebsten würde ich behaupten, wir hätten in dem anderen Bein einen größeren Tumor entdeckt und diesen sofort entfernen müssen, doch das kann ich nicht. Ich möchte den schrecklichen Moment hinauszögern, aber was würde das bringen? Früher oder später muss sie es erfahren.
Mrs Dyer bricht zusammen, als ich es ihr sage.
»Mein armer, süßer Schatz«, schluchzt sie. »Ich wusste, dass etwas nicht stimmt. Ich wusste es.« Sie reißt sich zusammen und zupft ein Stück Papiertaschentuch von ihrem Shirt. »Wo ist Emma? Warum sagt sie mir das nicht selbst?«
Ihr glühender, fragender Blick scheint die Wahrheit aus jeder einzelnen Pore meines Körpers herauszuschwitzen.
»Emma ist nicht da. Drew, ihr Vertreter, hat operiert. Ich weiß nicht, warum oder wie er es geschafft hat …«
»Meinen Hund umzubringen?«, unterbricht mich Mrs Dyer. »Genau das hat er nämlich getan. Er hätte ihn genauso gut gleich einschläfern können.«
»Es tut mir so furchtbar leid.« Tränen brennen hinter meinen Augenlidern, aber ich muss stark bleiben. Wenn ich daran denke, was passiert ist, während ich die Verantwortung für die Praxis hatte, komme ich mir absolut unfähig vor. »Ich werde alles tun, um ihm zu helfen.«
»Es wäre mir lieber, Sie täten das nicht«, erwidert sie kühl.
Ich kann ihre Reaktion nachvollziehen. An ihrer Stelle ginge es mir genauso.
»Es gibt noch immer die Möglichkeit, ihn an einen Onkologen zu überweisen, um zu prüfen, ob er für eine Bestrahlung oder Chemotherapie infrage kommt. Ich vereinbare den Termin für Sie. Ich fahre ihn persönlich in die Klinik Ihrer Wahl. Die Praxis wird alle Kosten übernehmen.« Ich verstumme und warte auf ihre Antwort, doch Mrs Dyer starrt wortlos vor sich hin.
»Emma hatte es mir versprochen«, sagt sie schließlich.
»Es tut mir leid«, wiederhole ich. Beim Gedanken an Emmas rücksichtslose Dummheit ballen sich meine Hände zu Fäusten. Wie konnte sie eine ihrer besten und treuesten Kundinnen und deren unschuldiges Tier so behandeln?
»Ich fasse es nicht. Sie sind Tierärztinnen. Sie behaupten, Sie handelten ausschließlich zum Wohl der Tiere. Sie behaupten, sie lägen Ihnen am Herzen, und dann … Ich bin sprachlos.« Mit zitternden Fingern berührt sie ihren Hals, dann sagt sie: »Ich glaube, jetzt hätte ich doch gerne den Tee, den Frances mir angeboten hat.«
Ich weiß nicht genau, was sie vorhat, aber ich drücke den Knopf der Gegensprechanlage und bestelle den Tee. Dann warten wir schweigend, bis Frances mit dem gesüßten Tee für Mrs Dyer und einer heißen Zitrone für mich hereinkommt. Es dauert nur fünf Minuten, doch mir kommt es vor wie fünf Jahre.
»Ich möchte jetzt gerne zu Brutus.« Mrs Dyer steht auf, und ich bringe sie auf die Station. Shannon sitzt auf dem Boden neben Brutus, sein großer Kopf liegt in ihrem Schoß. Als Brutus die Schritte seiner Besitzerin hört, schaut er auf und schlägt mit dem Schwanz gegen die Stäbe des Käfigs hinter ihm. Ich sehe, wie Shannons Blick an dem Teebecher in Mrs Dyers Händen hängen bleibt.
»Keine Speisen oder Getränke in diesem Bereich – zumindest nicht für Menschen«, sagt sie streng, als sei sie während Izzys Abwesenheit in deren Rolle als leitende Tierarzthelferin geschlüpft. »Da gibt es keine Ausnahme.«
»Nicht jetzt, Shannon«, erwidere ich.
»Der ist sowieso nicht für mich«, antwortet Mrs Dyer und holt schniefend Atem. Ihre Augen sind geschwollen, und ihre Wangen sind feucht. Als sie neben Brutus niederkniet, klafft ihr Rock an der Seite auf, aber sie achtet gar nicht darauf.
»Brutus, mein Süßer …« Sie hält Brutus den Becher vor die Schnauze. Er schlabbert den Tee bis zum letzten Tropfen auf und genießt ihn wie ein Verurteilter in der Todeszelle sein letztes Mahl. »Ich nehme an, die Diät brauchen wir wohl nicht mehr«, sagt Mrs Dyer und zupft an einem seiner Ohren. »Von jetzt an bekommst du alles, was du willst, Würstchen zum Frühstück und nachmittags Leber, all das, was du am liebsten magst.« Sie dreht sich zu mir um. »Izzy hat immer gesagt, eines Tages würde ihn sein Übergewicht noch umbringen. Sie hatte unrecht, nicht wahr?«
»Ich fürchte schon«, antworte ich und betrachte
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